Share this...
Facebook
Twitter

Unabhängig davon, inwiefern Waffen, Militärausrüstung und Munition im Laufe der Zeit verbessert werden, spielt die Landschaft eine ebenso wichtige Rolle wie vor Tausend Jahren. Vor allem sind es Gewässer, die bei der Verteidigung von Bedeutung sind. Der Fluss Irpin nahe Kyjiw hinderte die russischen Streitkräfte daran, in die ukrainische Hauptstadt vorzudringen, den Angriff auf Mykolajiw hielt der Fluss Dnipro zurück und im Osten des Landes erlitt die russische Armee jedes Mal schwere Verluste, als sie versucht, den Fluss Siwerskyj Donez zu überqueren.

Die strategische Bedeutung der Gewässer verstand man bereits zu Zeiten der Antike. Seit ehedem wurden die Gewässer auf verschiedenste Art und Weise genutzt, wie z. B. um Truppen, Waffen oder Lebensmittel zu transportieren oder den Zugang zu Städten zu blockieren. Auch wurde manchmal das Wasser im Fluss vergiftet oder Fallen eingerichtet. Als Kosaken im März 1651 die Stadt Winnyzja vor der polnischen Kavallerie verteidigten, gruben sie im Voraus Eislöcher im damals zugefrorenen Fluss Piwdennnyj Bug. Durch diese Irreführung ist der Feind größtenteils im Fluss ertrunken. Dank dieser Methode konnte die Stadt verteidigt werden.

In diesem Artikel erzählen wir, wie der Fluss Irpin, der Kyjiw von Norden und Westen her umgibt, die unerwartete Offensive der russischen Besatzer, die aus Belarus angriffen, zurückhielt.

Die Aufgabe des Flusses: den Feind zu verlangsamen

Der Fluss ist ein natürliches Hindernis für die feindliche Armee, weil somit die Offensive verlangsamt wird.

– Gäbe es eine Brücke, müsste sie langsam in Form einer schmalen Kolonne überquert werden – das ist ein sowohl anfälliges als auch auffälliges Ziel.
– Wäre die Brücke bereits zerstört, bräuchte man Zeit, um eine temporäre Überquerungsmöglichkeit zu schaffen. Eine Pontonbrücke oder andere Überquerungsmöglichkeiten sind – wie auch bei einer normalen Brücke – ein hervorragendes Beschussziel, denn jedes Kriegsgerät muss sich dort langsamer bewegen.

Die ukrainischen Streitkräfte sprengten Brücken über den Fluss Irpin und zerstörten mehrmals russische Pontonbrücken.

In der Nähe des Dorfes Demydiw (nur 20 Kilometer vom Stadtrand Kyjiws) wurde ein Damm gesprengt, um den Fluss voller zu machen. Er trat über die Ufer und verursachte Schwierigkeiten für die feindliche Armee, unter anderem bildeten sich Sümpfe. Infolgedessen konnten die russischen Armeeeinheiten den Fluss nicht überqueren.

Die historische Bedeutung des Flusses Irpin

Es ist nicht das erste Mal, dass der Fluss Irpin die Grenzen von Kyjiw – mittels Wasser, Sümpfen und Uferbefestigungen – beschützt. Zur Zeit der Kyjiwer Rus (9. bis 11. Jahrhundert) gab es eine Festung in Bilhorod (heute das Dorf Bilohorodka), die am Fluss Irpin liegt.

Im Zweiten Weltkrieg nutzten die Verteidiger von Kyjiw ein im Vorfeld entwickeltes dreistufiges System aus Verteidigungsanlagen. Die erste dieser Linien verlief entlang des Flusses Irpin. Somit wurde ermöglicht, Kyjiw 72 Tage lang zu verteidigen.

Zu Sowjetzeiten trocknete der Fluss Irpin teilweise aus und änderte seinen Lauf. In den letzten Jahren wurden seine Ufer aktiv bebaut und der Fluss ist sehr flach geworden. Einige behaupten, hätte die russische Offensive erst im Laufe der nächsten fünf Jahre stattgefunden, wäre die Wassermenge für eine Verteidigung nicht mehr ausreichend gewesen.

Wie der Damm am Fluss Irpin gesprengt wurde

Wir unterhielten uns mit einem der Freiwilligen, die den Damm am Fluss Irpin gesprengt haben, um den Vormarsch der russischen Besatzer zurückzuhalten. Der Name des Mannes wird aus Sicherheitsgründen nicht genannt.

Der Mann erzählt, dass lokale Aktivisten bereits vom ersten Tag des russischen Angriffskrieges einen Verteidigungsplan erarbeitet haben, denn sie kannten die Gegend sehr gut. Sie stellten Kontakt zum Militär her, so dass Letztere schnell und effektiv handeln konnten. Es waren eben die Aktivisten, die der Heerführung empfohlen haben, den Wasserspiegel im Fluss zu erhöhen.

Der Höhenunterschied zwischen Stausee und dem Fluss betrug etwa 6 Meter, auch konnten die Besonderheiten des lokalen Bodens den Vormarsch der russischen Okkupanten in Richtung Kyjiw erschweren. Nachdem sie die Zustimmung des Militärs erhalten hatten, begannen die Freiwilligen, sich sorgfältig auf die Sprengung des Staudamms am Fluss vorzubereiten:

„Die Überschwemmung sollte allmählich erfolgen, damit notfalls zivile Menschen evakuiert werden konnten. Anfangs durften wir das Schleusentor und die Brücke nicht zerstören.“

„Da sich die Besatzer aber schnell der ukrainischen Hauptstadt näherten, kam dann doch der Befehl, den Damm zu sprengen. Unser Freund Kolja fuhr in seinem Auto zusammen mit Sprengfachleuten zum Militär, um 500 Kilogramm Sprengstoff zu transportieren. Danach fuhren sie bereits unter Beschuss in unser Dorf. In der Zwischenzeit stellten wir Schutzblöcke auf, falls etwas schiefgehen sollte. Der Sprengstoff wurde installiert und die Einwohner wurden gewarnt. Es erfolgte ein ‚Bumm!‘ und ein ca. 1–1,5 Meter grosses Loch klaffte im Damm.“

Bereits am nächsten Tag verwandelte sich das Gebiet in ein Sumpfland. Der Wasserpegel stieg, weshalb die Besatzer das Dorf Kosarowytschi, wo der Fluss Irpin ins Dnipro mündet, nicht passieren konnten. Auch gerieten sie dort unter starken Beschuss seitens der ukrainischen Streitkräfte.

Beitragende

Projektgründer:

Bogdan Logwynenko

Autorin des Textes:

Illja Kabatschynskyj

Chefredakteurin:

Anja Jablutschna

Redakteur:

Anastasija Sjerikowa

Bildredakteur,

Fotografin:

Jurij Stefanjak

Übersetzerin:

Halyna Wichmann

Übersetzungsredakteur:

Oleksiy Obolenskyy

Content-Managerin:

Anastasija Schochowa

Folge der Expedition