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Der 20. Februar 2014 markierte den Beginn der russischen Besetzung der Krym.
Das Verschwinden ukrainischer Aktivisten, die Einschüchterung von Einheimischen und ihr Einsatz als „lebende Schutzschilde“ während der Besetzung wichtiger Einrichtungen sowie die Durchführung eines Scheinreferendums – all das brachte der Aggressorstaat auf die Halbinsel. Die Besetzung der Krym ist zu einem Lackmustest geworden, der Russland erlaubte zu erkennen, wie die Welt auf seinen Wunsch reagieren würde, vermeintlich „historisch russische“ Gebiete zurückzufordern. Die meisten Länder der Welt verurteilten das russische Vorgehen, aber in Wirklichkeit konnte nichts und niemand Russland daran hindern, Schritt für Schritt ukrainisches Land „abzubeißen“.

Trotz des Verstoßes gegen das Völkerrecht steht die Halbinsel seit mehr als neun Jahren unter der Herrschaft des Terrorstaates. Doch wer die Geschichte aufmerksam verfolgt, konnte die Frage „Wem gehört die Krym?“ bereits 2014 klar und deutlich beantworten: „Die Krym gehört zur Ukraine“.
Wir möchten daran erinnern, wie Russland bereits vor dem Einmarsch ihrer Truppen auf die Halbinsel Krym die Geschichte verdrehte, um die ganze Welt an dieser Tatsache zweifeln zu lassen.

Voraussetzungen der Besetzung

Russland hat in die Geschichte der Krym eine Reihe von Mythen und Manipulationen eingeflochten. Angeblich handelt es sich um ein „historisch russisches“ Gebiet, das sich nach der Revolution der Würde „friedlich“ von der Ukraine abgespalten hat. Letzteres wurde von der russischen Propaganda als „Umsturz“ bezeichnet. In Wahrheit ist die Krym nicht russisches Land. Es ist das Land der Krymtataren, das mit Russland nur durch Eroberung, Kriege, Deportationen und wirtschaftlichen Niedergang verbunden ist.

Die Krym wurde im Jahr 1954, zu Zeiten der Sowjetunion, Teil der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik (USSR). Es war kein „Geschenk“ an die Ukrainische Sowjetrepublik, wie die russische Propaganda es darstellt, sondern eine subventionierte Region mit großen Problemen in der Infrastruktur. So wurde in den 1960er Jahren der Nord-Krym-Kanal eröffnet, der bis zu 85 % des Süßwasserbedarfs der Halbinsel vom ukrainischen Festland aus deckte. Nach dem Zerfall der Sowjetunion erklärte die Ukraine 1991 ihre Unabhängigkeit mit den gleichen Grenzen wie die USSR.

Die Krym ist territorial mit der Ukraine verbunden und auf ihre Ressourcen angewiesen. Außerdem wurden erst seit der Unabhängigkeit der Ukraine die ersten Bedingungen für ein normales Leben und die Entwicklung der Krymtataren auf ihrem eigenen Land geschaffen. Dennoch begann Russland bereits sofort nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion damit, Ansprüche auf die Krym zu erheben. So erklärte die russische Staatsduma am 21. Mai 1992 die Übergabe der Krym an die Ukraine im Jahr 1954 für illegitim aufgrund der Behauptung, dass dadurch gegen die Gesetze der Sowjetunion verstoßen wurde. Seit dieser Zeit hat Russland schrittweise verschiedene Methoden angewandt, um die Krym zu annektieren.

Ein Streitpunkt zwischen Russland und der Ukraine nach dem Zerfall der Sowjetunion war die Aufteilung der Schwarzmeerflotte. Dieser Prozess in den frühen 1990er Jahren wurde als „Krymkrise“ bezeichnet und endete nicht zugunsten der Ukraine: Letztendlich übernahm Russland etwa 80% der Schiffe, von denen viele einfach aus dem Schwarzen Meer in andere russische Flotten verlegt wurden. Gemäß dem bilateralen Regierungsabkommen von 1997 über den Status und die Präsenz der russischen Schwarzmeerflotte auf ukrainischem Territorium war die russische Flotte berechtigt, bis 2017 in Sewastopol zu bleiben. Allerdings unterzeichneten der prorussische ukrainische Präsident Wiktor Janukowytsch (der später nach der „Revolution der Würde“ aus der Ukraine nach Russland floh) und der damalige russische Präsident Dmitrij Medwedew (de facto eine Marionette Putins) im Jahr 2010 ein Abkommen über die Verlängerung des Aufenthalts der Schwarzmeerflotte in Sewastopol bis 2042. Somit waren auch viele Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion Schiffe, Marine- und Militäreinheiten beider Staaten auf der Krym stationiert. Später gab der ukrainische Geheimdienst zu, dass die Schwarzmeerflotte jederzeit einen militärischen Angriff gegen die Ukraine hätte starten können.

Der Konflikt um die ukrainische Insel Tuzla im Jahr 2003 wird heute manchmal als die russische Generalprobe für die Ereignisse von 2014 bezeichnet. Die Insel liegt in der Meerenge von Kertsch, die die Krym von der russischen Halbinsel Taman trennt. Um die ukrainische Insel mit dem russischen Ufer zu verbinden, begannen die Russen mit dem Bau eines Damms. Letztendlich wurden die Bauarbeiten eingestellt und eine militärische Auseinandersetzung konnte verhindert werden. Es wird jedoch vermutet, dass Russland somit testen wollte, wie die Ukraine und die restliche Welt auf einen Versuch der Besetzung von Gebieten der unabhängigen Ukraine reagieren.

Nach Angaben des ukrainischen Militärs begann Russland im Herbst 2013 mit aktiven Vorbereitungen für die Besetzung der Krym (u.a. durch das Anlegen von Treibstoffvorräten). Große Medienereignisse lenkten die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft oft von den heimtückischen Plänen und Handlungen Russlands. Während der Olympischen Winterspiele in Sotschi (7. – 23. Februar 2014) verlegte die russische Regierung eine große Menge militärischer Ausrüstung und Personal an die ukrainische Grenze, angeblich zur Rotation und um Sicherheit der Wettkämpfe zu gewährleisten. Später wurden diese Brigaden auf die Krym geschickt.

Der Beginn der Besetzung der Krym

Am 20. Februar 2014 erschienen Soldaten ohne Hoheitsabzeichen auf ihren Uniformen auf der Krym. Sie sprachen Russisch. Die Ukrainer nannten sie wegen ihrer Uniformfarbe „grüne Männchen“. Putin sagte zunächst auf einer Pressekonferenz am 4. März, es handele sich um „lokale Selbstverteidigungskräfte“, mit denen Russland (wie erwartet) nichts zu tun habe. Später, nachdem er seine Rhetorik allmählich geändert hatte,
bestätigte er, dass es tatsächlich russische Sicherheitskräfte gewesen seien. Allerdings gab es fast seit den ersten Tagen der Invasion Beweise dafür, dass das russische Militär in das Territorium der ukrainischen Krym eingedrungen war. Ukrainische Investigativ-Journalisten stellten auch eindeutig fest, welche Einheiten der russischen Streitkräfte an der Besetzung der Krym beteiligt waren. Dies wurde auch vom ukrainischen Militär bestätigt. In einigen Fällen kannten die ukrainischen Militärangehörigen die Besatzer sogar persönlich, da sie an Militärübungen auf benachbarten Truppenübungsplätzen teilnahmen.

Die „grünen Männchen“, in Wirklichkeit bewaffnete russische Militärs, besetzten ukrainische Grenzübergänge und blockierten ukrainische Militäreinheiten. Gleichzeitig setzten sie die vom humanitären Völkerrecht verbotene Taktik der menschlichen Schutzschilde ein – sie bezogen Stellungen in besiedelten Stadtteilen, was das ukrainische Militär daran hinderte, diese zu beschießen.

Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass die brutale Niederschlagung der seit dem 30. November 2013 andauernden Proteste in Kyjiw am 20. Februar 2014 passierte, genau an jenem Tag, als russische Streitkräfte die Krym besetzten. An diesem Tag gab es die größte Anzahl an Todesopfern. 48 Personen, die für demokratische Werte und eine pro-europäische Ausrichtung der Ukraine demonstrierten, wurden erschossen. Die Gesamtzahl der Opfer betrug 107 Personen, die seitdem als „Himmlische Hundert“ bezeichnet werden. In den folgenden Tagen nahmen die Bewohner Kyjiws Abschied von den Verstorbenen, und eine Regierung wurde gebildet. Das „brüderliche“ Russland nutzte diese innenpolitische Turbulenz in der Ukraine, um eine Sonderoperation zur Annexion der Krym durchzuführen.

Foto: Maksym Balandjuch.

In den großen Städten der Halbinsel fanden prorussische Kundgebungen statt, an denen russische Söldner, Kollaborateure und einfache Bewohner der Halbinsel teilnahmen, die durch Propaganda manipuliert oder unter Druck zur Teilnahme gezwungen wurden. Am 23. Februar gelang es den Demonstranten in Sewastopol sogar, den Bürgermeister der Stadt zum Rücktritt zu zwingen und einen neuen zu „wählen“ — den russischen Staatsbürger Aleksei Tschalyi, der bereits lange vor 2014 separatistische Aktivitäten ausübte.

Russland verlegte aktiv zahlreiche Streitkräfte auf die Krym. Nach Angaben des ukrainischen Militärgeheimdienstes setzte Russland Kriegsschiffe ein, um seine Soldaten und Ausrüstung auf die Halbinsel zu bringen. Sie wurden mit militärischen Transportflugzeugen zu den Flugplätzen der Schwarzmeerflotte auf der Krym oder zum Flughafen der russischen Stadt Anapa transportiert, von wo sie die Halbinsel Krym auf dem Seeweg durch die Straße von Kertsch erreichten. Am 24. Februar blockierten gepanzerte Mannschaftswagen am Stadtrand von Sewastopol die Einfahrt in die Stadt, und auch in anderen Städten tauchten immer mehr russische Soldaten auf. Gerade von Sewastopol aus, dem Hauptstützpunkt der Schwarzmeerflotte, wurde die Besetzung der Krym eingeleitet.

Am 26. Februar fand in Simferopol, der Hauptstadt der Krym eine friedliche Demonstration gegen die russischen Separatisten statt. Nach unterschiedlichen Schätzungen waren dort zwischen 5.000 und 10.000 Krymbewohner verschiedener Nationalitäten anwesend. Sie bekundeten ihre Unterstützung für die ukrainische Regierung sowie ihre Bereitschaft, sich gegebenenfalls gegen die Besatzer zu wehren. Ihre Gegner waren Vertreter der Partei „Russische Einheit“, die einen Anschluss der Krym an Russland anstrebten.

Partei „Russische Einheit“
Prorussische politische Partei, die zwischen 2008 und 2014 existierte. Durch den Beschluß des Bezirksverwaltungsgerichtes in Kyjiw wurde die Partei in der Ukraine verboten.

Die ukrainischen Demonstranten wurden von Mitgliedern des Krym-Parlaments unterstützt, während die Anhänger Russlands von russischen Staatsbürgern, die auf die Krym gekommen waren, und lokalen pro-russischen Kollaborateuren angeführt wurden. Bei den Auseinandersetzungen kamen zwei Menschen ums Leben, mehrere Dutzend wurden verletzt.

Foto: Stas Jurtschenko.

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Später, während der Besetzung der Krym, wurde in Russland ein Strafverfahren zu diesem Vorfall eingeleitet, in dem aber ausschließlich Krymtataren angeklagt wurden.

Erste ukrainische Opfer und Einnahme strategischer Stellungen

In der Nacht zum 27. Februar wurden die Gebäude des Parlaments und des Ministerrats der Autonomen Republik Krym in Simferopol von einer Aufklärungs- und Sabotagegruppe der russischen Luftlandetruppe besetzt. Am Morgen des 27. Februar soll eine Sitzung stattgefunden haben, unter welchen Bedingungen und wie viele Abgeordnete anwesend waren, ist nicht bekannt. Die Sitzung resultierte in der rechtswidrigen Absetzung der legitimen Regierung der Halbinsel sowie der Wahl eines neuen „Ministerpräsidenten“, des Vertreters der Bewegung „Russische Einheit“ Sergej Aksjonow. Gleichzeitig wurde beschlossen, am 25. Mai ein Referendum über die Ausweitung der Autonomie der Krym durchzuführen.

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Foto: Getty images.

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Nach der Besetzung der wichtigsten Verwaltungsgebäude begann das russische Militär in die Bezirksverwaltungen einzudringen und die Städte zu patrouillieren. In den Städten und auf den Straßen, insbesondere auf der Autobahn von der Krym zum ukrainischen Festland, wurden illegale Kontrollpunkte eingerichtet. Ende Februar blockierten die Besatzer Flughäfen und begannen, russische Hubschrauber auf Militärflugplätze zu verlegen. In den sozialen Medien tauchten weitere Beweise für die illegale Präsenz russischer Truppen auf der Krym auf: Fotos und Videos ihrer militärischen Ausrüstung in diversen Städten und Dörfern. Zahlreiche russische Soldaten prahlten mit ihren militärischen Erfolgen und teilten in sozialen Netzwerken eigene Fotos mit genauer Ortsangabe, auf denen sie vor militärischer Ausrüstung auf der Krym posierten.

Bereits am 27. Februar erwog Kyjiw, den Ausnahmezustand auf die Krym zu verhängen. Währenddessen stimmte der russische Föderationsrat am 1. März der Forderung Putins zu, russische Truppen außerhalb Russlands einzusetzen. Auf einer Pressekonferenz am 2. März erklärte der russische Präsident, er habe keine Pläne, die Krym an Russland anzuschließen.

Die Invasoren forderten die Ukrainer auf, Waffen niederzulegen und zu ihnen überzulaufen, doch viele ukrainische Soldaten hielten an ihrem Eid fest und leisteten Widerstand. So dauerte es beispielsweise drei Wochen, bis der Marinestützpunkt in der Stadt Feodosia eingenommen werden konnte, weil sich das ukrainische Militär widersetzte. Spezialkräfte, Boote und Hubschrauber mussten eingesetzt werden, um das ukrainische Kriegsschiff „Tscherkassy“ einzunehmen. Trotz des hartnäckigen Widerstands der Ukrainer übernahmen die Russen nach und nach die Kontrolle über die militärischen, polizeilichen und administrativen Einrichtungen der Ukraine.

Kriegsschiff „Tscherkassy“
Der heldenhafte 20-tägige Widerstand ukrainischer Seeleute auf dem Minensuchboot „Tscherkasy“ im März 2014 wurde zum Symbol für den Widerstand des ukrainischen Militärs gegen die Besetzung der Krym. Diese Ereignisse werden im Spielfilm „U311. Tscherkasy“ des ukrainischen Regisseurs Timur Jaschtschenko dargestellt, der 2020 in die Kinos kam. Das Schiff „Tscherkasy“ wurde auch auf einer Briefmarke abgebildet.

Auf der Halbinsel entstand auch die illegale Gruppierung „Selbstverteidigung der Krym“ (selbsternannte „Krymvolksmiliz“). Ihre Mitglieder patrouillierten in den Städten und erleichterten die Stürmung ukrainischer Militäreinrichtungen: zuerst brachen sie in die Gebäude ein, woraufhin bewaffnete russische Soldaten folgten. Einwohner berichteten auch, dass der Mobilfunk fast nicht mehr funktionierte, da das Signal ukrainischer Betreiber von den Besatzern blockiert wurde.

Foto: Anton Scheweljow.

Die Aktivitäten der sog. „Selbstverteidigung der Krym“ wurden im Übrigen später legalisiert, da ihre Tätigkeit durch das „Gesetz über die Volksmiliz“ geregelt wurde. Die Rechtsgrundlage dieser Gruppierung basiert nicht auf der aktuellen Gesetzgebung der Ukraine, sondern ausschließlich auf den Normen der Russischen Föderation. Das legt die Vermutung nahe, dass diese Gruppierung einen künstlichen Charakter hat, da sie vom Aggressorland und nicht von den damals auf der Halbinsel lebenden Ukrainern organisiert wurde.

Foto: Anton Scheweljow.

Die Angreifer haben nicht nur die wichtigsten Verwaltungsgebäude auf der Halbinsel gestürmt und eingenommen, sondern auch ihre Soft-Power zur Geltung gebracht. Sie haben den Anwohnern versprochen, dass sie ein besseres Leben hätten, wenn die Krym an Russland abtreten würde. Ukrainischen Soldaten wurde angeboten, überzutreten (und damit ihren Eid zu brechen) und in den Streitkräften der Russischen Föderation weiter zu dienen, vermeintlich mit höheren Gehältern und Sozialleistungen. Aus verschiedenen Gründen nahmen viele Ukrainer das Angebot der Invasoren an, aber es gab auch solche, die bis zum bitteren Ende kämpften. Wie z. B. Ihor Bedzai, Kommandeur der 10. Marinefliegerbrigade der ukrainischen Streitkräfte; er konnte ukrainische strategisch wichtige Flugzeuge in Sicherheit bringen, indem er nicht auf Anweisungen seiner Vorgesetzten wartete. Da die Lage auf dem ukrainischen Festland und auf der Krym sehr instabil und unvorhersehbar war, beschloss er, ohne zu zögern, vorschriftsgemäß zu handeln.

Weitere typische Methoden der Besatzungstruppen auf der Krym sind auch Einschüchterung und Verhaftung ukrainischer Aktivisten unter erfundenen Anschuldigungen. Die Krymtataren, die indigene Bevölkerung der Halbinsel, waren besonders stark von solchen Repressionen betroffen, da sie immer aktiv gegen die russische Herrschaft protestierten. Die Journalistin Natalia Gumenyuk, die von 2014 bis 2019 unter Lebensgefahr die besetzte Krym besuchte, sprach mit vielen Bewohnern der Halbinsel, die die russische Gesetzlosigkeit miterlebt oder selbst erlitten hatten. Im Jahr 2020 veröffentlichte sie ihr Buch „Die verlorene Insel“, eine Sammlung von Berichten, die die russischen Verbrechen auf der Krym dokumentieren.

Am 6. März 2014 verabschiedete das Parlament der Krym unter Druck der Besatzer eine Resolution, wonach am 16. März 2014 ein sogenanntes Referendum „Über die Wiedervereinigung mit Russland“ abgehalten werden soll.

Das Scheinreferendum

Obwohl das ukrainische Recht keine Volksabstimmungen auf lokaler Ebene über Grenzveränderungen vorsieht, fand am 16. März ein sog. „Referendum“ statt, bei dem die Krymbewohner angeblich für den Anschluss an Russland entschieden hätten.
Es ist wichtig anzumerken, dass am 7. März 2023 der amtierende Präsident der Ukraine ein Dekret erließ, mit dem der Beschluss des Parlaments der Krym „Über die Abhaltung eines Referendums auf der Krym“ für verfassungswidrig erklärt und dessen Wirkung aufgehoben wurde. Eine Woche später, am 14. März, traf das Verfassungsgericht der Ukraine die gleiche Entscheidung. Am Tag darauf löste das ukrainische Parlament das Parlament der Krym auf.

Die Abhaltung von „Referenden“ ist eine wiederkehrende Taktik Russlands in den besetzten Gebieten. Alle diese Maßnahmen werden unter Einsatz von Waffengewalt durchgeführt, was vom Grunde aus den demokratischen Prinzipien und Werten solcher Verfahren widerspricht. Die Bürgerinitiative CrimeaSOS, die am 27. Februar 2014 gegründet wurde, um objektiv über die Ereignisse auf der Halbinsel zu berichten, stellte mindestens fünf gravierende Verstöße bei der Durchführung des Referendums fest.
Erstens, verstieß das Referendum gegen geltendes ukrainisches Recht. Des Weiteren enthielt der Wahlzettel nur zwei Optionen, eine – Krym als Teil der Russichen Föderation, und die zweite – Wiederherstellung der Gültigkeit der Verfassung der Republik Krym von 1992, die deklariert, dass Krym zwar immer noch ein Teil der Ukraine ist, aber als ein unabhängiger Staat agiert, mit dem Entscheidungsrecht über u.a. die eigene Regierung, eigene Souveränität und eigene internationale Beziehungen mit anderen Staaten. Keine der Optionen hielt an dem Status quo fest. Die Wahlbeteiligung war gefälscht und in den Wahllokalen herrschte völliges Chaos. Internationale Beobachter wurden nicht eingeladen und die Bewohner der Halbinsel wurden durch Drohungen und Einschüchterungen zur Teilnahme gezwungen. Letztendlich wurde bis zum 16. März die Arbeit aller unabhängigen ukrainischen Medien auf der Krym gewaltsam eingestellt.

Am 18. März 2014 besetzte eine Sabotageeinheit, angeführt von Igor Girkin, ein militärisches kartographisches Zentrum in Simferopol. Während der Besatzung wurde wahllos auf das Gebäude geschossen. Gleichzeitig gab es die ersten Opfer unter den ukrainischen Militärs: Sergej Kokurin, ein Fähnrich der ukrainischen Streitkräfte, wurde von russischen Soldaten getötet.

Igor Girkin
Russischer Soldat, Kriegsverbrecher. Einer der führenden Organisatoren der prorussischen Separatisten auf der Krym und später auch im Donbass. Nahm am Krieg Russlands gegen die Ukraine auf der Krym, im Osten des Landes und später während der landesweiter Invasion 2022 teil.

Einige Jahre später waren sich die ukrainischen Militärs einig, dass sie Ende Februar 2014 zwar nicht auf eine bewaffnete Konfrontation mit Russland vorbereitet gewesen waren, aber in der Lage gewesen wären, die ukrainischen Stellungen zu verteidigen, wenn sie den entsprechenden Befehl erhalten hätten. Die ukrainische Militärführung auf der Krym gab ihren Soldaten den Befehl, so lange wie möglich abzuwarten und nicht auf Provokationen einzugehen.

Am 18. März 2014, angeblich dem Volkswillen des sog. Referendum folgend, unterzeichneten Putin und Vertreter der Besatzungsmacht ein Dokument über die Annexion der Krym durch die Russische Föderation. Zwei Tage später, am 20. März, ratifizierte das russische Parlament das Dokument fast einstimmig, am 21. März folgte die Entscheidung des Föderationsrates, und das Dokument trat in Kraft. Im Jahr 2019 räumte der selbsternannte Premierminister der Besatzungsbehörden auf der Krym, Sergej Aksjonow, ein, dass Putin persönlich die Einnahme der Krym geleitet habe.

Die Sehnsucht nach Befreiung

Die Ukraine bezeichnete die Besetzung der Krym auf allen internationalen Bühnen als ein Verbrechen Russlands. Die meisten Staaten der Internationalen Gesellschaft erkannten die Krym nicht als russisch an. Die EU und die USA verhängten außerdem Sanktionen gegen das Aggressorland. Zudem stellte die Ukraine die Zusammenarbeit mit vielen russischen Unternehmen ein. Seit neun Jahren setzen sich ukrainische Regierungsvertreter, zivilgesellschaftliche Organisationen und Aktivisten für die Rückgabe der Krym und das Ende der Kämpfe im Osten des Landes ein. Trotz Verhandlungen mit Russland, Interventionen bei den Vereinten Nationen und Kommunikation mit westlichen Staaten, um politischen und wirtschaftlichen Druck auf Russland auszuüben, hat sich das Aggressorland bisher nicht beeinflussen lassen.

Die vorübergehend besetzte Halbinsel ist zu einem Ort geworden, an dem systematisch Menschenrechte verletzt werden. Regimekritische Aktivisten werden massenhaft verhaftet und durchsucht, unschuldige Menschen unter dem Vorwand des „Kampfes gegen den Terrorismus“ verfolgt, inhaftiert und verbannt. Die männliche Bevölkerung der Halbinsel wird auch für den Angriffskrieg mobilisiert, den Russland im Februar 2022 in der gesamten Ukraine begonnen hat, daher sind viele Menschen gezwungen, die Halbinsel zu verlassen, um diesmal nicht mit gegen ihre Landsleute kämpfen zu müssen.

Oleg Sentsow, ein Krymtatarischer Filmregisseur und von 2014 bis 2019 politischer Gefangener des Kremls, ist sich sicher, dass die russischen Behörden auf eine schnelle und widerstandslose Einnahme der Krym setzten. Dafür gab es mehrere Gründe: die Sprache (die meisten Bewohner der Halbinsel sprachen Russisch und bevorzugten russische Medien), die passive Haltung der Großteil der Bevölkerung zu der gesamtukrainischen Politik sowie die hohe Wirksamkeit der russischen Propaganda. Auch war die Bevölkerung auf der Krym ethnisch mehrheitlich Russsich. All diese Gründe sind als Versäumnisse der damaligen ukrainischen politischen Führung zu bezeichnen, die der sozialen und kulturellen Entwicklung der Krym zu wenig Aufmerksamkeit schenkte, vor allem weil Russland nicht als potenzieller Feind und Aggressor wahrgenommen wurde. Trotzdem betrachtete die Mehrheit der ukrainisch- und russischsprachigen Krymbewohner die Krym weiterhin als autonome Republik innerhalb der Ukraine.

Nach der endgültigen Besetzung der Krym am 18. März 2014 seien friedliche Kundgebungen für eine pro-ukrainische Entwicklung der Halbinsel noch gefährlicher geworden als zuvor, so Oleg Sentsow. Andersdenkende werden einfach beseitigt: Einige Menschen verschwanden, andere wurden tot aufgefunden. Gleichzeitig wurden diejenigen, die die Krym als Teil der Russischen Föderation unterstützten oder diese Entwicklung passiv hinnahmen, jedoch enttäuscht, da die in den Medien verbreiteten Versprechen über ein „besseres Leben“ infolge der russischen Annexion nicht erfüllt wurden. Und auch nach mehr als neun Jahren Besatzung ist die Krym nicht zu einer russischen Oase der Selbstverwirklichung geworden. Die gesellschaftspolitische Entwicklung auf der Halbinsel scheint stehen geblieben zu sein. Viele Menschen unterstützen Russland nicht bzw. nicht mehr, aber eine oppositionelle Haltung gegenüber der Besatzungsmacht ist zu riskant, als dass sich eine aktive pro-ukrainische Gemeinschaft bilden könnte. Die Russen aber setzen auf der Krym ihre Ordnung ein und führen dort die kulturelle Expansion fort.

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Seit der Besetzung 2014 verwandelte sich die Krym von einer Region mit großem wirtschaftlichen und touristischen Potenzial in einen russischen Militärstützpunkt, wo viel militärisches Gerät stationiert ist, das nun im Krieg gegen die Ukraine voll zum Einsatz kommt. Außerdem finden dort regelmäßig Militärübungen statt. Die Besatzungsmacht kontrolliert und identifiziert jeden, der mit der russischen Politik nicht einverstanden ist. Auch werden alle verfügbaren Ressourcen der Krym rücksichtslos ausgebeutet, um die Bedürfnisse und Ambitionen der Besatzer zu befriedigen. Die lautstarken Versprechungen der russischen Propagandisten über ein besseres Leben auf der Halbinsel, wenn ihr Militär die „historische Gerechtigkeit“ wiederherstellt und das Gebiet wieder Russland angehöre, haben sich als leer erwiesen. Die Geschichte zeigt, dass kein einziges Gebiet, das von Russland erobert wurde, jemals wohlhabend geworden ist, sondern – im Gegenteil – eher darunter gelitten hat. Da die Besatzer die Halbinsel nicht freiwillig verlassen wollen, setzen die ukrainischen Verteidigungskräfte nun alles daran, die Krym früher oder später zu befreien.

Expertise: Die Vertretung des Präsidenten der Ukraine in der Autonomen Republik Krym

Beitragende

Projektgründer:

Bogdan Logwynenko

Autorin des Textes:

Anja Jablutschna

Natalija Ponedilok

Bildredakteur:

Jurij Stefanjak

Übersetzer:

Khrystyna Rud

Übersetzungsredakteur:

Oleksiy Obolenskyy

Korrektor:

André Huhn

Content-Managerin:

Anastasija Schochowa

Folge der Expedition