Das Heulen der Wölfe oder Schakale war unerträglich. „Gleich werden sie uns auffressen“, weinte der dreijährige Junge und versuchte, die schrecklichen Geräusche zu übertönen. Seine Mama setzte ihn auf ihren Schoß, umarmte ihn und beruhigte ihn: „Papa wird nicht zulassen, dass uns jemand frisst. Mach dir keine Sorgen, Mustafa.“
Es war eine kalte Nacht im Jahr 1946, und die Familie Dschemiljew war auf dem Weg zu ihrem neuen Zuhause. Der Kommandant hatte hierzu die Genehmigung erteilt.
*
Diese Publikation wurde in Zusammenarbeit mit der Zeitschrift „Lokalna Istorija“ („Lokale Geschichte“) erstellt.„Das sind meine ersten Kindheitserinnerungen“, erzählt Mustafa Dschemiljew, ein Dissident und politischer Gefangener, 75 Jahre nach diesen Ereignissen. Er sitzt in einem bequemen Sessel in seinem Arbeitszimmer in Kyjiw. Der Raum ist mit Gegenständen dekoriert, die mit der Krim zu tun haben. An der Wand hängt ein Gemälde mit Ansichten der Stadt Bachtschyssaraj auf der Krim.
„Ich war sieben Monate alt, als wir deportiert wurden.1Die Deportation der Krimtataren im Jahr 1944 war ein von den sowjetischen Behörden begangener Völkermord. Er wurde mit falschen Anschuldigungen gerechtfertigt, die Krimtataren hätten mit den Nationalsozialisten kollaboriert. Meine Familie landete in Usbekistan, in der Provinz Andijon. Vor unserer Ankunft wurde vor Ort massiv Propaganda betrieben: Es hieß, es kämen ‚Verräter‘. Vielerorts bewarfen die Einheimischen die einfahrenden Züge mit Steinen. Als sie aber sahen, dass Frauen und Kinder ausstiegen, beruhigten sie sich. Die Diskriminierung war offensichtlich: Wir standen unter Aufsicht einer Kommandantur, bei der sich meine Eltern wöchentlich melden mussten. Wir durften uns nur innerhalb eines Umkreises von 4 Kilometern bewegen. Ohne die Genehmigung des Kommandanten konnte man nicht einmal zur Beerdigung von Verwandten ins Nachbardorf gehen. Unerlaubte Ausreise wurde als Flucht gewertet und mit 25 Jahren Gefängnis bestraft.“
Foto: Oleksandr Chomenko für „Lokalna Istorija“.
Mustafa Dschemiljew zieht an seiner Zigarette, Nach dem Inhalt des Aschenbechers und der Rauchwolke in seinem Büro nach zu urteilen, ist es nicht seine erste.
Unser Gespräch wird durch die Türklingel unterbrochen. Ein Mann und eine Frau kommen in Mustafa Dschemiljews Haus. Sie begrüßen einander auf Krimtatarisch. Die Frau legt Mustafa Dschemiljews Hand sanft auf ihre Stirn und küsst sie: das ist eine Tradition, ein Zeichen des Respekts für ältere Menschen.
„Sind sie verwandt?“ frage ich.
„Fast“, lächelt der Mann. „Mustafa-Agha3Eine respektvolle Anrede für Männer bei den Krimtataren. und ich haben Hunderte von Stunden Schach gespielt.“
Der Gast holt ein eingerahmtes Foto aus einem Karton. Das Bild zeigt ihn und Dschemiljew an einem Schachbrett. Er reicht Mustafa-Agha das Foto und bittet ihn, es zu signieren. Dschemiljew unterschreibt es in arabischer Kalligraphieschrift und auf Krimtatarisch. Gleichzeitig bittet er den Mann, Zeichentrickfilme auf das Tablet seiner Enkelin herunterzuladen: „Auf Krimtatarisch, Ukrainisch, Türkisch und Englisch. Auf keinen Fall auf Russisch. Denn sie hat schon angefangen, mit mir Russisch zu sprechen.“
Das jüngste Mitglied der Familie Dschemiljew ist drei Jahre alt. Mustafa-Agha zeigt die neuesten Fotos von Merjem auf seinem Handy: das Mädchen hält ukrainische und krimtatarische Fahnen in der Hand. „Das soll noch ausgedruckt und irgendwo hier aufgehängt werden“, sagt er und schaut auf der Suche nach einem geeigneten Platz auf die Wände. Inzwischen bringt Dschemiljews weiblicher Gast Kaffee für alle und stellt Süßigkeiten auf den Tisch.
„In der Verbannung waren gegenseitige Besuche der größte Lichtblick für die Krimtataren“, erzählt Mustafa-Agha. „Wir haben einen Zeitplan aufgestellt: Sie kamen zu uns, dann kamen wir zu ihnen. Auch die ärmsten Familien hatten einen Vorrat für ihre Gäste, zum Beispiel Kaffee. Vor den Kindern versuchte man, keine offenen Gespräche zu führen. Ich erinnere mich, wie meine Mutter meinen Vater anstieß, wenn er ein solches Gespräch anfing, und zu ihm sagte: ‚Psst, die Kinder‘.“
Mustafa Dschemiljews Türen sind fast nie verschlossen. Es sind immer Gäste da. Die einen gehen, andere kommen. Sie setzen sich zu uns und hören zu, was Mustafa-Agha zu sagen hat.
Foto: Oleksandr Chomenko für „Lokalna Istorija“
„Der Hund ist krepiert“
„Es war im März 1953. Wir hatten das Radio an. Der Sprecher Juri Lewitan5Radiosprecher in der Sowjetunion. teilte mit, dass Stalin gestorben ist. Daraufhin sagte mein Vater: ‚Endlich ist der Hund krepiert.‘ Mit dieser Stimmung kam ich in die Schule. Da weinten alle lauthals [über den Tod Stalins], als ob es das Ende der Welt wäre. Nur die Krimtataren weinen nicht. Wir hatten einen Anführer – Reschat Bekmambetow, er versammelte alle und sagte: ‚Hört zu, alle weinen, nur wir nicht. Wir müssen weinen. Sonst werden unsere Eltern verhaftet.‘ Er brachte eine Zwiebel mit.
Dann wurden wir zum Appell gebracht. Der stellvertretende Schulleiter hielt eine Rede, beendete sie nicht und brach in Tränen aus. Und ich denke mir: Mein Vater hat gesagt, dass der Hund (Stalin) endlich krepiert ist und der stellvertretende Schulleiter weint, als ob sein eigener Vater gestorben wäre. Ich fragte mich, wie er sich weiter verhalten würde. Ich folgte ihm. Er ging in ein leeres Klassenzimmer, schlug seinen Kopf gegen die Wand und schluchzte. Es war so psychotisch.
Danach wurde gesagt, dass im Zusammenhang mit dem Tod des Führers eine dreitägige Trauer ausgerufen wurde und in dieser Zeit der Unterricht ausfallen würde. Fast rief ich ‚Hurra!‘ Wenn ich das getan hätte, wären meine Eltern bestimmt verhaftet worden. Ich hielt mich zurück und dachte bei mir: Dieser Stalin hat zumindest eine gute Sache getan.“
Nachdem Mustafa Dschemiljew die Schule abgeschlossen hatte, ging er in die usbekische Hauptstadt Taschkent, um dort an der Fakultät für Arabische Sprache und Literatur zu studieren. Der Leiter der Zulassungskommission riet ihm jedoch hinter vorgehaltener Hand, es gar nicht zu versuchen, da sie die Anweisung hätten, keine Krimtataren zu immatrikulieren. Später verstand Dschemiljew, warum. Alle Absolventen der Arabistik erhielten eine Stelle im Ausland und wurden automatisch zu Agenten des sowjetischen Geheimdienstes KGB. Krimtataren waren jedoch schlechte Agenten.
Nachdem Dschemiljew nicht an der Universität zugelassen worden war, fand er eine Stelle beim Flugzeugwerk Taschkent. Seine gesamte Freizeit verbrachte er in der Bibliothek. Er verschlang sämtliche Literatur über die Krim, recherchierte und fasste die Texte schriftlich zusammen. Er übte auch die arabische Kalligraphieschrift.
„Was für eine Scheiße Russland ist“
„Eines Tages saß ich in der Abteilung für seltene Bücher. Zwei junge Leute kamen herein und redeten auf Krimtatarisch miteinander. Der eine kam auf mich zu und sagte: ‚Wie ich sehe, lesen Sie auf Arabisch. Können Sie uns etwas übersetzen?‘ Ich übersetzte. Danach fragte er auf Russisch: ‚Warum handeln all Ihre Bücher von der Krim?‘. Ich antwortete, dass ich Krimtatare bin. Sie waren sehr froh. Sie erzählten, dass sie junge Leute suchen und eine Organisation gründen, die sich für die Rückkehr der Krimtataren in ihre Heimat einsetzt.“
Dschemiljew wurde zu einer Sitzung dieser Organisation eingeladen, um einen Vortrag über die Geschichte der Krim zu halten. Sie versammelten sich in einem Wohnhaus am Rande Taschkents. Da besprachen sie das Statut, den Eid und ihre Pflichten. Sie debattierten und stritten sich. Nachdem der unbekannte junge Mann (Mustafa Dschemiljew – Anm. d. Red.) den Vortrag gehalten hatte, brach der Saal in Beifall aus.
„Ich habe nie in meinem Leben so viel Applaus bekommen. Ich hatte einfach das herausgeschrieben, was meinem Publikum gefallen könnte. Zum Beispiel, wie die Krimtataren 1711 die russische Armee am Fluss Pruth besiegten. So in der Art, wie mutig wir sind und wie scheiße die Russen sind. Der Vortrag war handgeschrieben. Er wurde bekannt und die Leute schrieben ihn ab.“
Einige Wochen später begannen Festnahmen. Der Besitzer des Hauses, in dem sich die jungen Leute versammelt hatten, und die Leiter der noch nicht gegründeten Organisation wurden verhaftet.
„Seitdem wurden wir alle ins Visier des KGB genommen. Zwei von uns wurden aus der Universität exmatrikuliert. Ich wurde aus dem Betrieb entlassen. Es gab eine ständige Überwachung. Mir war klar, dass ich früher oder später verhaftet werden würde. Ich begann, das Strafgesetzbuch zu studieren, Paragraphen, Kommentare und Gerichtsurteile, und las vom Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess.
Meine Aufgabe war es, im Gerichtsverfahren moralische Genugtuung zu erhalten. Seitdem verteidigte ich mich in allen Verhandlungen selbst, und die Richter waren überrascht, dass ich ohne ein Jurastudium über solche Kenntnisse verfügte. Ich versuchte, mich mit denjenigen zu treffen, die ihre Strafe abgesessen hatten, um herauszufinden, wie die Regeln im Knast waren. Ich lernte auch die wichtigste Regel, die [der russische Literaturnobelpreisträger Alexander] Solschenizyn später formulierte: ‚Fürchte dich vor nichts, bitte um nichts‘.“
Plötzlich steht die junge Frau, die bei Mustafa-Agha zu Gast ist, von ihrem Sessel auf und beginnt, sein Haar zu richten.
„Was machst du?“ fragt Dschemiljew erstaunt.
„Bring auch seine Augenbrauen in Ordnung“, sagt ihr der Mann (Dschemiljews Schachgegner). Er erhebt sich ebenfalls von seinem Sessel, um der Frau zu helfen.
„Na, ihr habt auch den richtigen Zeitpunkt gefunden. Was wollt ihr? Die Frauen beachten mich sowieso nicht mehr“, scherzt Mustafa-Agha.
Diashow
Hinter diesen spontanen und in gewisser Weise komischen Momenten stehen Liebe und Respekt. Mustafa Dschemiljew ist ein nationaler Anführer und ein zweiter Vater für die Krimtataren. Dieser Respekt ist gegenseitig.
Als Dschemiljews Gäste beschließen, dass sein Erscheinungsbild nun gut genug ist, setzen wir das Gespräch fort.
Hydraulik-Prüfung mit dem KGB
Mustafa-Agha erzählt uns, wie er nach der Schule eine Hochschule für Landwirtschaft in Taschkent besuchte. Dort studierte er ein technisches Fach, das ihn gar nicht interessierte. Daneben engagierte er sich für die Belange der Krimtataren. Er nahm an Demonstrationen teil und traf sich mit Gleichgesinnten. Seinen lebendigen Vortrag erweiterte er zu einem „Kurzen historischen Abriss der turksprachigen Kultur auf der Krim vom 13. bis zum 18. Jahrhundert“. Der KGB bezeichnete diese Schrift als ein „Werk mit antisowjetischer Tendenz“ und „nationalistischen Einstellungen“. Im dritten Studienjahr wurde entschieden, Dschemiljew zu exmatrikulieren.
„Nach einer Zusammenkunft wurde ich von Memet Seljametow, dem Leiter der Abteilung für Hydraulik, angesprochen. Für ihn war ich eine reine Null, weil ich sein Fachgebiet – die Hydraulik – kaum kannte. Aber er reichte mir die Hand und sagte: ‚Denken Sie nicht, dass ich zu diesen Leuten (den KGB-Agenten – Anm. d. Red.) gehöre. Ich wusste nicht, was für ein Verfahren (zur Exmatrikulation Dschemiljews – Anm. d. Red.) sie geplant haben. Ich bin kein Krimtatare, ich bin Karäer7Die Karäer sind zusammen mit den Krimtataren und den Krimtschaken ein autochthones Volk der Ukraine, das überwiegend auf der derzeit russisch besetzten Krim lebt., aber ich bin zuinnerst besorgt, dass sie die Umsiedlung eines ganzen Volkes (der Krimtataren – Anm. d. Red.) rechtfertigen. Was kann ich für Sie tun?‘ Ich hatte eine Prüfung in seinem Fach. Ich nahm mein Studienbuch heraus und er trug mir direkt auf seinem Schoß ein ‚gut‘ ein. Ich hatte noch nie in meinem Leben ein ‚gut‘ in Hydraulik bekommen. Das war eine große moralische Unterstützung.“
Danach ging ich zum Büro des Rektors und traf dort einen KGB-Beamten, der für die Krimtataren zuständig war. Er sagte: ‚Wir werden Ihnen erlauben, Ihr Studium fortzusetzen, wenn Sie einen Reuebrief schreiben und versprechen, ein normaler Sowjetmensch zu werden und den Behörden im Kampf gegen Abweichler zu helfen.‘ Er wollte mich als Spitzel anwerben. Ich sagte dem Rektor sofort, dass ich die Unterlagen mitnehmen werde. Ich gratulierte dem KGB-Offizier zu einem weiteren Sieg über die Konterrevolution. Danach nannte er mich einen ‚Mistkerl‘ oder ‚Bastard‘ oder so was Ähnliches.“
Quelle: „Lokalna Istorija“
Verhaftung Nr. 1
Am nächsten Tag erhielt Dschemiljew einen Einberufungsbescheid. Er verweigerte den Wehrdienst. Dazu erklärte er: „Ich lehne den Militärdienst in der sowjetischen Armee ab, weil ich kein Heimatland zu verteidigen habe. Ich glaube auch nicht, dass ich Feinde außerhalb der Sowjetunion habe.“ Dies brachte ihm sein erstes Strafverfahren und eine Verhaftung ein.
„Ich wurde zu anderthalb Jahren Haft verurteilt. Ich war im Straflager ‚Kuljuk‘ für Kriminelle am Rande von Taschkent. Sie nahmen mir die Schnürsenkel ab, damit ich mich nicht erhängen konnte. Außerdem trug ich eine Fliege statt einer Krawatte – die war damals in Mode, auch sie nahmen sie mir weg. Ich laufe in der Zelle hin und her und mache mir Sorgen. Einer der mit inhaftierten Ganoven sagt zu mir: ‚Was rennst du so herum? Setz dich hin, Du störst mich beim Ausruhen.‘ Ich weiß, wenn ich mich hinsetze, heißt das, dass ich Angst habe. Und das wäre kein Leben mehr. Ich weiß nicht, woher ich den Mut nahm. Ich streckte zwei Finger aus, als ob ich ihm die Augen ausstechen wollte, und ging auf ihn zu: ‚Hast du mir das gerade gesagt, du Mistkerl? Du wirst dich zu Hause ausruhen. Wir sind hier nicht im Hotel!‘ Er sieht mich Zwerg an, und ich denke mir: Wenn er aufsteht, drückt er mich an die Wand. Er daraufhin aber so: ‚Warum regst du dich denn so auf? Ich hab’ doch nur gesagt, dass du mich störst.‘ Ich fuhr fort: ‚Du wirst dich zu Hause ausruhen!‘ Es gibt einen Grundsatz im Gefängnis: Man darf keine Schwäche zeigen.“
Einen Monat vor seiner Freilassung wurde Dschemiljew mit einem anderen Krimtataren in eine Einzelzelle verlegt. Man verlangte von ihm, schriftlich auf antisowjetische Aktivitäten zu verzichten. Mustafa-Agha trat in einen Hungerstreik. Am zehnten Tag wurde er auch ohne den geforderten schriftlichen Verzicht aus der Einzelzelle entlassen. Aus dem Gefängnis wurde er mit folgender Beurteilung freigelassen: Er habe sich negativ entwickelt, stehe mit einflussreichen kriminellen Persönlichkeiten in Verbindung, spreche fließend Englisch und Arabisch und müsse ständig überwacht werden.
Sobald sich die Gelegenheit ergab, eilte Mustafa Dschemiljew nach Moskau. Dort schloss er Freundschaft mit bekannten sowjetischen Dissidenten: Petro Hryhorenko9Sowjetischer Generalmajor, Menschenrechtsaktivist und Dissident ukrainischer Herkunft. Er war einer der Mitbegründer der Moskauer und der Ukrainischen Helsinki-Gruppe. Er setzte sich für die Krimtataren und andere deportierte Völker ein., Pjotr Jakir, Pawel Litwinow und Wiktor Krassin. Hryhorenko setzte sich für die Krimtataren ein, und seine Wohnung wurde zum Treffpunkt der antisowjetischen Kräfte. Dort lebte Dschemiljew ein halbes Jahr lang. Dschemiljew nannte Hryhorenkos Frau „meine russische Mutter“.
Zwischen seiner Haftentlassung und seiner nächsten Verhaftung vergingen nur sechs Monate. Dschemiljew wurde ständig beschattet. Einige Zeit lang konnte er der Verfolgung entgehen.
„1968, nach der Besetzung der Tschechoslowakei, begannen Massenverhaftungen von Dissidenten. Ich wohnte zu dieser Zeit bei meiner Schwester. Am Abend sammelte ich alle meine Dokumente ein, um sie am nächsten Morgen zu vernichten. Da sah ich durch das Fenster einen Ermittler. Ich sprang mit den Unterlagen aus dem Fenster, bekleidet nur mit Hemd, Hose und Socken, und versteckte mich im Maisfeld. In der Nacht kam ich zurück nach Hause. Meine Schwester weinte, denn ihr Mann war verhaftet worden. Mir hatten sie eine Ladung zum Verhör hinterlassen. Mein Schwager wurde zu drei Jahren verurteilt. Meine Schwester machte sich später über ihn lustig: ‚Eigentlich sind sie wegen Mustafa gekommen, aber er war nicht da, also haben sie dich mitgenommen, um nicht leer auszugehen‘.“
Verhaftung Nr. 2
Mustafa Dschemiljew war eine Zeit lang auf freiem Fuß. Im September 1969 wurde er jedoch wegen „Verbreitung bewusst falscher Behauptungen zur Verleumdung des sowjetischen Staats- und Gesellschaftssystems“ verhaftet.
Laut Dschemiljew wurde mit dem gleichen Vorwurf auch der russische Dissident und Dichter Ilja Gabaj* festgenommen. Beide wurden gemeinsam im Lefortowo-Gefängnis in Moskau festgehalten.
„Nach meiner Freilassung fuhr ich zum Haus meines Schwagers. Wir arbeiteten im Garten und hörten Voice of America. Wir hatten ein Spinola-Radio. Ich hörte eine Nachricht: ‚Heute ist der bekannte Dissident Ilja Gabaj11Sowjetischer Schriftsteller, Dozent und Dissident jüdischer Herkunft. Geboren in Baku, Aserbaidschan. Er setzte sich für Bürgerrechte ein und beteiligte sich an den Bemühungen um die Autonomie der Krimtataren. Er wurde von den sowjetischen Staatsorganen verfolgt und mehrmals inhaftiert. Er nahm sich am 20. Oktober 1973 das Leben. aus dem Fenster seiner Wohnung im 11. Stock gesprungen‘. Ich konnte es nicht glauben. Eine Woche davor hatten wir noch mit ihm telefoniert. Ich ging zum Postamt und rief seine Frau an. Sie bestätigte, dass er es allein getan und einen Abschiedsbrief hinterlassen hatte. Er war deprimiert, denn sowohl Pjotr Jakir als auch Wiktor Krassin hatten gegen ihn ausgesagt. Er hatte auch eine schwere Zeit im Gefängnis. Er war ein Intellektueller und fand die Atmosphäre dort abscheulich und kriminell. Sie war von Vulgärsprache und Brutalität beherrscht. Er konnte es nicht ertragen.“
Verhaftung Nr. 3, Prozess Nr. 4
Zwei Jahre später wurde Mustafa Dschemiljew in einen Konflikt verwickelt und wegen „Rowdytums“ für 15 Tage inhaftiert. Der krimtatarische Dissident trat in einen Hungerstreik, bekam ein Magengeschwür und weigerte sich, an einer sechsmonatigen Militärübung teilzunehmen. Dafür wurde er zu einem Jahr Gefängnis verurteilt.
Quelle: „Lokalna Istorija“
In der Strafkolonie Omsk wurde Dschemiljew kurz vor seiner Freilassung klar, dass er nicht entlassen werden würde und dass ein neuer Fall vorbereitet wurde. Die Ermittler verhörten seine Mitgefangenen, fanden schließlich einen Häftling, der gegen ihn aussagte, und beschlagnahmten seine schriftlichen Werke.
„Sie nahmen mir die ‚Grundsatzerklärung der nationalen Bewegung des krimtatarischen Volkes‘ ab. Ich habe sie in arabischer Schrift geschrieben. Die Sprache ist eine Mischung aus Englisch, Krimtatarisch und Russisch mit möglichst vielen Abkürzungen. Sie haben es entziffert. Der Leiter der Abteilung für englische Sprache und Literatur an der Universität Omsk wurde dafür eingeladen, und der arabische Teil wurde von einer Dozentin aus Taschkent übersetzt. Der Text wurde zu 90 % wiederhergestellt. Mir war klar, dass sie einen Eintrag zu meiner Akte hinzufügen, mich vor Gericht stellen und nicht aus dem Gefängnis entlassen würden. Also trat ich in einen Hungerstreik. Ich schrieb einen Brief an Andrei Sacharow13Sowjetischer Physiker, Träger des Friedensnobelpreises (1975) für seinen Kampf für die Menschenrechte in der ganzen Welt. Von 1980 bis 1986 war er zusammen mit seiner Frau Jelena Bonner inhaftiert., der ein Mitglied der Akademie der Wissenschaften war. Es gelang mir, ihm den Brief zu übermitteln. Sacharow startete eine Kampagne anlässlich meines Hungerstreiks“.
In den Jahren 1975–1976 berichtete die westliche Presse umfassend über den Fall von Mustafa Dschemiljew. Dank seines anhaltenden Hungerstreiks erfuhr die Welt von einem ganzen Volk, das aus seiner Heimat vertrieben wurde.
Am siebten Monat des Hungerstreiks berichtete die britische Zeitung The Times, dass Dschemiljew im Gefängnis in Omsk hätte sterben können.
„Das war so: Meine Mutter kam nach Omsk, um mich zu sehen. Der Gefängnisleiter sagte ihr: ‚Ihr Sohn ist nicht hier, gehen Sie weg‘. Dann fuhr sie unter Tränen nach Moskau, um [Andrei] Sacharow zu besuchen. Sacharow und [Petro] Hryhorenko hielten eine Pressekonferenz ab und teilten mit, dass Dschemiljew möglicherweise gestorben sei. Die Information ging um die Welt. In der Türkei wurden für mich Trauerfeiern in Moscheen abgehalten, es wurden Gedichte verfasst und sowjetische Konsulate zerstört“.
Viele Jahre später erzählt Dschemiljew diese Geschichte mit einem Lächeln. Als ob diese 303 Hungerstreik nichts Außergewöhnliches gewesen wären. Seine Stimme zittert nicht, auch wenn er über das Verfahren der Zwangsernährung spricht.
„Wenn der Atem nach Leiche riecht, ist das ein Zeichen für den sicheren Tod. Die Wärter halten Deine Hände fest, öffnen mit einem Werkzeug den Kiefer – dabei brechen in der Regel Zähne ab, – führen einen Schlauch ein und gießen eine Nährflüssigkeit ein. Diese Flüssigkeit unterstützt die Lebensaktivität. Sie wird schnell absorbiert, aber innerhalb einer Stunde verspürt man wieder Hunger.
Im siebten oder achten Monat meines Hungerstreiks kamen ein Therapeut und ein Psychiater zu mir. Der Therapeut untersuchte mich und nahm meinen Blutdruck. Der Psychiater begann, Fragen zu stellen. Ich sagte zu dem Psychiater: ‚Warum sind Sie hierhergekommen? Ich habe mich nicht zum Napoleon erklärt, ich beiße keine Leute‘. Er antwortete, dass ein Mensch nach einem langen Hungerstreik psychische Störungen entwickeln kann, und seine Aufgabe war es, meinen Zustand zu überprüfen. Als wir allein waren, sagte er zu mir: ‚Eigentlich muss ich Ihnen davon abraten, einen Hungerstreik fortzuführen, aber meine Empfehlung ist, bis zum Ende durchzuhalten. Das ist ein schrecklicher Schlag für sie (die sowjetischen Behörden – Anm. d. Red.). Im Moment wird so viel über Sie geschrieben. Halten Sie durch‘. Dann ging er.“
Dschemiljew wurde auf einer Bahre zur Gerichtsanhörung gebracht, die am 14. April 1976 in Omsk stattfand. Er konnte sich nicht selbständig bewegen.
Von links nach rechts: Jelena Bonner, Safinar Dschemiljewa, Mustafa Dschemiljew, Andrei Sacharow. Foto aus Mustafa Dschemiljews Archiv
Andrei Sacharow kam selbst zur Verhandlung. Der Nobelpreisträger wurde aber nicht in den Gerichtssaal gelassen. Während einer Auseinandersetzung schubste ein Polizist Sacharow und wurde dafür von Sacharows Frau Jelena Bonner geohrfeigt. Das Ehepaar wurde in ein Auto gesteckt und aus der Stadt gebracht. Währenddessen verurteilte das Gericht Dschemiljew zu zweieinhalb Jahren Haft in einer Strafkolonie mit verschärften Haftbedingungen.
„Nach dem Gerichtsurteil hatte ich ein Treffen mit meiner Mutter und meinem Bruder durch eine Glasscheibe. Meine Mutter brach in Tränen aus, ihr war schlecht. Mein Bruder sagte: ‚Ich weiß, es ist sinnlos, dich [vom Hungerstreik] abzubringen‘. Er legte jedoch eine Postkarte von Sacharow ans Glas. Darauf schrieb Sacharow sehr rührend: ‚Mein Sohn, ich habe alles getan, was in meiner Macht stand, um Deine Freilassung zu erreichen und Deinen Fall der ganzen Welt bekannt zu machen. Dein Tod wird nur unsere Feinde glücklich machen. Deshalb bitte ich Dich jetzt, Deinen Hungerstreik zu beenden‘.“
Während des Gesprächs reißt Dschemiljew ständig Witze. Doch bei dieser Erinnerung treten ihm Tränen in die Augen. Die Worte Sacharows zwangen ihn, seinen Hungerstreik zu beenden: Er schrieb eine Erklärung direkt in der Besucherkabine.
Danach wurde Mustafa ins Krankenhaus gebracht. Zwei Monate später war er schon auf dem Weg in den Fernen Osten der Russischen Sowjetrepublik, in das Straflager mit verschärften Haftbedingungen „Primorski“.
„Wir kamen in Etappen an, wir waren etwa 30 Häftlinge. Das Verfahren war wie folgt: Man sitzt in einem Sonderraum, bis man hinaus in den Knast gelassen wird. Jeder wird zu einem Gespräch aufgerufen und es wird bestimmt, in welche Abteilung er geschickt wird. Sie haben alle gehen lassen, nur mich nicht. Sie sagten, der Leiter des Gefängnisses möchte persönlich mit mir sprechen, er werde in zwei Tagen da sein. Zwei Tage vergehen, und ich werde aufgerufen. Ich gehe zu ihm, sage ihm meinen Namen, Eintrag und Haftdauer. Er schaut mich an: ‚Sind Sie Dschemiljew? Mustafa?!‘ Ich sage: ‚Ja‘. Er fängt an zu lachen. Ich denke: ‚Was ist denn hier los?‘, und er erklärt: ‚Seien Sie nicht beleidigt, man hat mir so viel über Sie erzählt. Ich dachte, ein großer Kerl würde kommen und das Gefängnis aufmischen, aber Sie sind so‘.“
Nach dem zermürbenden Hungerstreik war Dschemiljew nicht mehr für körperliche Arbeit geeignet, so dass er als Laborassistent eingesetzt wurde. Er schloss schnell Freundschaften, denn er konnte mit allen eine gemeinsame Sprache finden.
„Man konnte mit den Kriminellen leben, wenn die Verwaltung sie nicht absichtlich provozierte. Für sie [die Kriminellen] waren die politischen Gefangenen interessant, weil sie gebildet waren. Sie nannten mich einen ‚Politiker‘ und kamen zu Konsultationen. In der Strafkolonie Omsk gaben sie mir den Spitznamen ‚Staatsanwalt‘. Sie brachten mir ihre Fälle, ich las sie. Wenn ich keine Anhaltspunkte (für eine unrechtmäßige Inhaftierung – Anm. d. Red.) fand, sagte ich: ‚Sitz Deine Strafe ab, du wurdest zu Recht inhaftiert‘. Wenn doch, half ich ihnen, Anfragen und Beschwerden zu schreiben, um ihren Fall überprüfen zu lassen“.
Nach seiner Rückkehr aus dem Straflager wurde Dschemiljew ins Visier genommen und jeder seiner Schritte wurde überwacht. Er hat sich nie „gebessert“, wie es das sowjetische Strafverfolgungssystem verlangte. Er verkehrte weiter mit „politisch unzuverlässigen“ Personen und unterschrieb Briefe zur Unterstützung von Dissidenten. Mustafa-Agha wandte sich an das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR mit der Bitte, ihn auszubürgern und ihm zu erlauben, die Sowjetunion zu verlassen. Er fügte hinzu, dass er seine Meinung zu ändern bereit sei, wenn die Krimtataren in ihre Heimat zurückkehren dürften.
Mustafa Dschemiljew im Jahr 1979. Foto aus privatem Archiv.
Verhaftung Nr. 5 und Hochzeit
1979 wurde Dschemiljew zu eineinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Die Strafe wurde in eine vierjährigen Verbannung nach Jakutien (in Ostsibirien, damals eine autonome Sowjetrepublik – Anm. d. Red.) geändert.
„Unsere Freunde schickten einen jungen, kräftigen Kerl, der in meiner Nähe lebte und mich bewachte. Er erzählte mir von einer patriotischen, schönen Frau. Ihr Mann war an Krebs gestorben und sie blieb mit ihrem Sohn zurück. Sie war so patriotisch, dass sie ihr Haus verkaufen und zu ihren Eltern ziehen wollte, um das Geld der nationalen krimtatarischen Bewegung zu spenden. Das beeindruckte mich. Ich bat ihm um ihre Adresse und wir begannen Briefe zu wechseln.
Später machte ich mit ihr viele Witze darüber, warum sie mich geheiratet hat. Ich sagte: Du hast im Radio gehört, dass ich 303 Tage lang nichts gegessen habe, daher dachtest Du, für den muss man nicht kochen“.
Mustafa Dschemiljew mit seiner Frau.
Mustafa Dschemiljew fängt an zu lachen. Er zündet sich wieder eine Zigarette an – seine elfte während des Gesprächs. Im gleichen scherzhaften Tonfall erzählt er weiter die Geschichte seiner Liebe – wie er sich in Briefe und ein schönes Mädchen auf einem Foto verliebte.
„Sie kam im Sommer. Wir gingen zum Standesamt, um zu heiraten. Sie unterschrieb. Ich warte noch. Die Standesbeamtin fragt: ‚Warum unterschreiben Sie nicht?‘ Ich sah Safinar an und fragte: ‚Wirst du mich auch nicht verletzen?‘ Sie sagte: ‚Nein, nein.‘ Erst danach habe ich unterschrieben. In der Verbannung bekamen wir ein Kind und kehrten bereits mit unserem Sohn Chajser zurück“.
Drei Tage auf der Krim. Verhaftung Nr. 6
Im Februar 1983 endete seine Verbannung und Dschemiljew reiste von Jakutien direkt auf die Krim – den Ort, an dem er geboren wurde, an den er sich überhaupt nicht erinnerte und von dem er 39 Jahre seines Lebens als gelobtes Land geträumt hatte.
Die Familie Dschemiljew blieb nur drei Tage auf der Halbinsel. Sie wurden in einen Gefangenentransporter gesetzt und von der Krim gebracht. Dann kehrte die Familie nach Usbekistan zurück, in die Stadt Yangiyoʻl (russisch – Jangijul). Dort übernahm Mustafa Dschemiljew die Redaktion eines illegalen Mitteilungsblattes der krimtatarischen Initiativgruppe „Mussa Mamut“ und geriet bald wieder in die Fänge der Repressionen.
Dschemiljew wurde im November 1983, etwas mehr als ein halbes Jahr nach seiner Rückkehr aus der Verbannung, verhaftet. Er wurde bezichtigt, Dokumente verfasst und verbreitet zu haben, die die sowjetische Ordnung und ihr politisches System verunglimpfen, Radiosendungen aus feindlichen Ländern aufgenommen und Massenunruhen organisiert zu haben. Er wurde zu drei Jahren Haft verurteilt.
Zur Verbüßung seiner Strafe wurde er in eine Strafkolonie mit verschärften Haftbedingungen in das Gebiet Magadan (im russischen Fernen Osten – Anm. d. Red.) geschickt – erneut zu Kriminellen. Mustafa Dschemiljew fasst zusammen: Er saß noch nie in einer Strafkolonie für politische Gefangene.
Mustafa Dschemiljew am Eingang zum Dorf Ay Serez (alter krimtatarischer Name, offizieller ukrainischer Name – Mischritschtschja – Anm. d. Red.) auf der Krim, 2005.
Verhaftung Nr. 7 und Reagan
Im Jahr 1986 wurde ein weiterer Prozess gegen Mustafa Dschemiljew angestrengt. Es war sein letztes Verfahren in der Sowjetunion.
Dschemiljew wurde zu drei Jahren auf Bewährung verurteilt und direkt aus dem Gerichtssaal entlassen. Seine Freilassung hatte er dem Druck des amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan auf den sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow zu verdanken: Die USA setzten sich für die politischen Gefangenen des Kremls ein.
Die große, mächtige Sowjetunion krachte da bereits in allen Fugen. Daran hatte auch Dschemiljew seinen Anteil, gemessen an 15 Jahren Gefängnis und Verbannung.
„Taschkent, Chawast, Moskau-Lefortowo, Omsk, Nowosibirsk, Irkutsk, Wladiwostok, Straflager ‚Primorski‘, Straflager Omsk, Petropawlowsk“ – Mustafa-Agha zählt die Orte auf, an denen er seine Strafen verbüßte.
Mit seinem üblichen Humor fügt er hinzu: „Sie haben mir das ganze Land gezeigt – aber durch das Fenster eines Gefangenentransporters.“
Verhaftung Nr. 8 – durch Russland
Im November 2022 verurteilte ein russisches Gericht Dschemiljew erneut. Er wurde in Abwesenheit zu drei Jahren Strafkolonie und einer Geldstrafe verurteilt – gemäß drei Artikeln des russischen Strafgesetzbuches. Dschemiljews eigenes Haus ist seit 2014 für ihn geschlossen. Das ukrainische Außenministerium bezeichnete das Urteil als Farce.
„Die sowjetische Regierung hatte Angst vor der internationalen Gemeinschaft. Sie gab Milliarden für Propaganda aus. Sie wollte nicht, dass negative Informationen über die Grenzen der Sowjetunion hinausgehen. Putin hingegen pfeift auf alles. Er ist bis zum Äußersten gegangen. Er will nur den Menschen Angst machen und seine Macht behalten.
Foto: Oleksandr Chomenko für „Lokalna Istorija“
Heute erzwingen sie Geständnisse aktiver durch physische Gewalt. Sie umstellen ein Haus ohne Durchsuchungsbefehl, brechen ein, werfen alle Anwesenden auf den Boden, durchsuchen sie und nehmen ihnen mit Gewalt alles ab – nur weil sie etwas in der Moschee gehört haben. Derzeit befinden sich 77 Krimtataren in russischen Gefängnissen, die meisten von ihnen sind des Terrorismus angeklagt,“ fasst Dschemiljew zusammen.
Im Flur seiner Kyjiwer Bürowohnung hängt eine große Karte der Krim. Darauf sind die alten krimtatarischen Ortsnamen verzeichnet, die vor der Oktoberrevolution 1917 bestanden. Die Karte ist nicht da, um daran zu erinnern, wem die Krim gehört. Sie ist eine Garantie dafür, dass Mustafa Dschemiljew auf jeden Fall auf die Halbinsel zurückkehren wird. So wie er es 1989 getan hat. Denn die Krim ist seine Heimat, sein Zuhause.