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In den historischen Gebäuden in Charkiw wurden zwei Wohnungen gekauft. Eine der Wohnungen hat einmal dem bedeutenden Kritiker, Essayisten und Linguisten Jurij Scheweljow und die andere dem Schriftsteller Petro Lisowyj gehört. Anstatt die Wohnungen für Reiche schick zu sanieren, wurden dort Literaturresidenzen errichtet. Schriftsteller*innen, Literaturwissenschaftler*innen, Künstler*innen ziehen für einige Wochen dort ein, um einen neuen kulturellen Kontext in Charkiw zu gestalten.

2019 ist bekannt geworden, dass die ehemalige Wohnung von Scheweljow zum Verkauf steht. Die Nachricht traf auf Interesse des Literaturmuseums – einer der dynamischsten und interessantesten Kulturstätte in Charkiw. Stellvertretende Direktorin des Museums, Tetjana Pylyptschuk, erzählt:

„Der hervorragende Charkiwer Herausgeber und Forscher Oleksandr Sawtschuk hat gerade an einer zweibändigen Ausgabe der Erinnerungen von Jurij Scheweljow ‚Ich – mich – mir‘ gearbeitet. Er hat den Grundriss von Scheweljows Wohnung gefunden. Unser Architekt sah sich den Plan an und sagte: ‚Diese Wohnung wird verkauft‘.“

Das Team des LitMuseums hat nun angefangen nach Möglichkeiten für den Kauf der Wohnung des bekannten Linguisten zu suchen, um den Namen von Scheweljow in den Kontext der Stadt zurückzukehren und die Stadt Charkiw zu einem modernen Literaturstandort zu entwickeln.

Wohnungen mit Geist der Geschichte

Jurij Scheweljow war einer der bedeutendsten Akteure in der ukrainischen Kulturszene des 20. Jahrhunderts. Er ist in Charkiw noch zu den Zeiten des Russischen Kaiserreiches geboren. In den zwanziger Jahren ist er Kritiker und Sprachwissenschaftler geworden. Er hatte Glück, den stalinistischen Repressionen zu entkommen, obwohl der NKWD ihn zur Zusammenarbeit gezwungen hat. Während des zweiten Weltkrieges blieb Scheweljow im besetzten Charkiw, später ist er in den Westen ausgereist. Allmählich wurde er zu einem der bekanntesten Kritikern, Essayisten, Sprachwissenschaftlern und Slawisten in der ukrainischen Diaspora. Er war Mitbegründer des legendären Vereins „MUR“ (ukr. „Ukrainische Kunstbewegung“ – Üb.) und hat Dutzende wichtiger Bücher und Artikel geschrieben, so Tetjana:

MUR
Literaturverein der ukrainischen Schriftsteller*innen im deutschen Exil in den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Seine Mitglieder waren Iwan Bahrjanyj, Jewhen Malanjuk, Wiktor Petrow, Ihor Kostezkyj u.a.

„Er war nicht nur Linguist, Literaturwissenschaftler und Kritiker. Darüber hinaus hat er einzigartige, äußerst ehrliche Erinnerungen über sich selbst und seine Zeit hinterlassen. Wie seine Essays liefern seine Erinnerungen viele Informationen über Charkiw. Ich denke, das sind die besten Erinnerungen und Essays über Charkiw, auch wenn sie nicht nur angenehme und komplementäre Momente enthalten. Wir sollten glücklich sein, dass wir so einen Denker hatten.“

Sein Aufenthalt in dem von dem Dritten Reich besetzten Charkiw, seine Tätigkeit in der Charkiwer Besetzungszeitung „Nowa Ukraina“ (ukr. „Die neue Ukraine“ – Üb.) und in der Kommunalverwaltung rufen viele angespannte Diskussionen, wie auch Skandale hervor. Ihm wurde die Zusammenarbeit mit den Nazis vorgeworfen. Trotzdem wurde schließlich 2013 eine Gedenktafel an sein Haus gebracht.

Tetjana macht in dem Stadtviertel oft Führungen für Gäste. Hier befinden sich viele historische Gebäude, die mit dem kulturellen Aufstieg der zwanziger und dreißiger Jahre verbunden sind.

„Wir haben erfahren, dass hier, in der Sumska Straße 5, anscheinend das bekannte Kaffeehaus ‚Kawjarnja Poka‘ gewesen sein muss, wo Schriftsteller*innen sich für einen türkischen Kaffee und französische Waffeln getroffen haben. Das war das beliebte ‚Coworking‘ von dem ukrainischen Futuristen Mychajljo Semenko.“

Die Straße aufwärts, war der Theater „Beresil“ von Lesj Kurbas. Ein Stück weiter befand sich das Redaktionsbüro der Zeitung des Allukrainischen Zentralen Exekutivkomitees (das höchste legislative und exekutive Kontrollgremium der Ukrainischen SSR (1917 – 1938) – Üb.), wo in den unbeheizten Räumen der zum Gebäudekomplex gehörenden, ehemaligen Kirche die zukünftigen führenden Vertreter*innen der „Erschossenen Wiedergeburt“ – junge, damals wenig bekannte Schriftsteller*innen – ihre Abende feierten.

„Rosstriljane widrodschennja“ (ukr. „Erschossene Wiedergeburt“)
Eine experimentelle Ära in der ukrainischen Kulturgeschichte, in der erstklassige Werke in verschiedenen Kunstgattungen geschaffen wurden und charismatische Kulturschaffende auftraten (Mykola Chwyljowyj, Wassyl Jermilow, Lesj Kurbas und andere). Die Zeitperiode endete mit den Massenrepressionen der sowjetischen Macht.

„Schließlich befand sich in diesem Stadtteil, der damals als ‚Literaturmesse‘ bekannt war, die Redaktion des Staatsverlags der Ukraine. Hier blühte das literarische Leben, das den jungen Jurij Scheweljow ermutigte, die ukrainische Kultur zu entdecken. Eine andere ukrainische Kultur – nicht die provinzielle, wie sie in den 1910er Jahren dargestellt wurde, sondern eine neue, prätentiöse, lebendige und bunte.“

Scheweljow wohnte in dem berühmten Gebäude in der Sumska Straße, das als Salamander-Haus bekannt war (nach dem Namen der Versicherungsgesellschaft, die es 1914-1916 erbaut hatte). „Salamander“ nimmt einen ganzen Block ein, und der Zugang zum Gebäude erfolgt nicht über die Sumska Straße, sondern über eine andere – die Rymarska Straße.

„Die Wohnungen in diesem Gebäude waren recht komfortabel. Die Familie Scheweljow hatte dort eine eigene Wohnung, die mit etwa 150 qm² ziemlich groß war.“

Scheweljows Vater war General der Zaristischen Armee und konnte sich eine teure Wohnung leisten. Aber nachdem er seine Familie verlassen hatte, befand sich die Mutter mit dem Sohn in einer schwierigen finanziellen Lage. Sie mussten einen Teil ihrer Zimmer vermieten. Mit dem sowjetischen Machtantritt wurde die Wohnung in eine „Komunalka“ (ukr. „Gemeindewohnung“ – Üb.) umgewandelt, so dass die Scheweljows in das Zimmer ihrer ehemaligen Diener einziehen mussten. Das Salamander-Haus als der Ort, an dem Jurij Scheweljow – ein Mann der imperialen Kultur, der sich für seine ukrainische Identität entschied – aufwuchs und sich formte, weckte zurecht das Interesse des LitMuseums.

Im Jahr 2020 wurde eine weitere Wohnung zum Verkauf angeboten – in dem legendären Slowo-Haus in Charkiw, wo der Journalist und Schriftsteller Petro Lissowyj (echter Name: Swaschenko) lebte. Was ist Slowo-Haus? Das ist ein großes Wohnhaus in der Kulturstraße, das speziell für ukrainische sowjetische Schriftsteller*innen in der Zeit zwischen 1920-1930 nach dem konstruktivistischen Design (nicht ohne Einfluss von Jugendstil und Art Déco) von Mychajlo Daschkewytsch gebaut wurde.

Durch die Gründung einer speziellen Genossenschaft finanzierten die Schriftsteller*innen den Bau vom Slowo-Haus zum größten Teil selbst. Für den Rest ist Ulas Tschubar, Vorsitzende des Radnarkom (Rat der Volkskommissare der USSR-Regierung – Üb.) mit den staatlichen Geldern aufgekommen. Von oben aus sieht das Haus wie der kyrillische Buchstabe “C” (für „Слово“ – „Slowo“ – Üb.). Dutzende prominente Schriftsteller*innen, Übersetzer*innen, Kritiker*innen und andere Kulturschaffende – von Mykola Chwyljowyj bis Mychajlo Semenok, von Pawlo Tytschyna bis Lesj Kurbas – lebten hier. Das Slowo-Haus wurde zu einem der Symbole für die rasante Entwicklung der ukrainischen Literatur in Charkiw, der damaligen Hauptstadt der Sowjetischen Ukraine, in den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts.

„Damals kamen viele Künstler*innen mit unterschiedlichen Ambitionen und Überzeugungen nach Charkiw. Aber sie hatten einen gemeinsamen Wunsch: die Welt zu verändern und zu einem besseren Ort zu machen. Diesem Wunsch ist die Entstehung eines neuen Zentrums, neuer wertvoller Projekte und der konstruktivistischen Architektur zu verdanken. Freiheit, Experimente – dafür liebe ich jene Zeit. Der radikale Totalitarismus hat sich noch nicht durchgesetzt. Dagegen wurde ein einzigartiges Umfeld geschaffen.“

Der „Werkstatt“-Charakter des Slowo-Hauses zeigte sich ungünstig während der aktiven Phase der stalinistischen Repressionen – dem so genannten „Großen Terror“. Es war einfacher, Schriftsteller*innen zu verfolgen und massenhaft zu verhaften, wenn sie in demselben Gebäude wohnten. Eben hier erklang der laute Schuss, der das Leben von Mykola Chwyljowyj genommen hat.

Nach und nach verschwanden die Schriftsteller*innen aus dem Gebäude: einige wurden verhaftet, andere zogen aus oder starben, und es zogen keine neuen Schriftsteller*innen ein. Das Slowo-Haus wurde zu einem typischen Wohnhaus. Und erst nach der Unabhängigkeitserlangung der Ukraine entstand ein reges Interesse an den Ereignissen der zwanziger und dreißiger Jahre. Archive über die damaligen Zeiten wurden verfügbar und das Haus wurde zu einer kultischen Gedenkstätte von Charkiw.

Gründung der Literaturresidenzen

Schon lange hatte man die Idee, in dem Slowo-Haus eine kulturelle Einrichtung zu beherbergen. Es gab sogar ein Konzept für die Gründung eines Museums. Laut Tetjana Pylyptschuk wurde die Idee jedoch verworfen, weil die originale authentische Gestaltung des Gebäudes kaum aufrechterhalten ist. Es gab die Absicht, ein Kulturzentrum zu gründen, aber es gab keine Möglichkeit, die Räumlichkeiten zu kaufen. Die Initiativgruppe wollte jedoch in das tragische Bild des Slowo-Hauses Abwechslung bringen und zeigen, dass dort nicht nur die literarische Generation unterging, sondern auch Kultur geschaffen wurde, Boheme-Veranstaltungen stattfanden und interessante Menschen sich amüsierten.

Und nun, im Jahr 2020, lernten Mitarbeiter*innen des LitMuseums die Geschäftsleute Andrij und Mykola Naboka, Vater und Sohn, kennen. Die Geschäftsleute interessierten sich für die Geschichte der Stadt und ihre Literatur und kauften schließlich sowohl die ehemalige Wohnung von Petro Lisowyj im Slowo-Haus, als auch die ehemalige Wohnung von Jurij Scheweljow im Salamander-Haus. In beiden Fällen wurde beschlossen, die Räume für Literaturresidenzen zur Verfügung zu stellen, die Schriftsteller*innen aus anderen Städten und Ländern in Anspruch nehmen könnten. Dies soll die interregionale und internationale literarische Zusammenarbeit und die Präsenz von Charkiw in der Literatur im Allgemeinen stärken.

Literaturresidenzen sind ein verbreitetes Phänomen in der Welt. Oft werden sie an historisch geprägten Orten errichtet. So gibt es in Prag, beispielsweise, die Residenz „Praha město literatury“ („Prag – Stadt der Literatur“). Schriftsteller*innen und Übersetzer*innen aus aller Welt arbeiten dort zwei Wochen lang an dem angekündigten Projekt. Bei der Veröffentlichung der dort verfassten Texte wird vermerkt, dass sie während der Residenz geschrieben wurden. Die Residenz ist ein Projekt der Prager Stadtbibliothek. Die Künstler*innen wohnen in der ehemaligen Wohnung des slowakischen Schriftstellers Ladislav Mňačko in Barrandov-Viertel (dem Stadtviertel, das für das gleichnamige Filmstudio bekannt ist). Darüber hinaus veranstaltet die Bibliothek Treffen mit den Künstler*innen in verschiedenen Kultureinrichtungen im Stadtzentrum.

„Schriftsteller*innen, die oft nicht nur schreiben, sondern auch noch irgendwo arbeiten, können sich für einige Zeit nur auf das Schreiben konzentrieren, ohne nebenbei noch als Redakteur*innen, Journalist*innen o.ä. tätig zu sein. Das ist die Chance, sich in die Stadt und das Land zu versenken.“

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Die Residenz in Charkiw wurde 2018 in Zusammenarbeit mit dem ukrainischen PEN-Zentrum, dem Literaturmuseum und der Charkiwer Oblastverwaltung eingerichtet. Zunächst wurden die Wohnungen für Autor*innen gemietet, aber das änderte sich 2020, als Andrij Naboka die Wohnungen von Scheweljow und Lisowyj kaufte.

Ukrainisches PEN-Zentrum
Die NGO wurde gegründet, um die Redefreiheit und die Rechte von Autor*innen zu schützen, sowie die literarische Entwicklung und die internationale kulturelle Zusammenarbeit zu fördern. Gehört zum Netzwerk der nationalen Zentren von PEN International.

Warum legte der Geschäftsmann den Fokus auf die Kunstgeschichte von Charkiw? Tetjana Pylyptschuk erklärt:

„Für die Familie Naboka geht es dabei auch um ihre Geschichte, um die Aufarbeitung der Geschichte und um Kommunikation. Ich denke, dass Andrijs Studium an der Kyiv-Mohyla Business School auch einen Einfluss darauf haben könnte. Dieses Studium sorgt für ein umfangreicheres Verständnis und zeigt, dass es im Geschäftsleben nicht nur ums Geldverdienen geht. Bei den Projekten in den Wohnungen von Scheweljow und Lisowyj geht es ihm wahrscheinlich um die Frage des Sinns und um neue Entdeckungen. Ursprünglich interessierte er sich für Geschichte des Slowo-Hauses, da er feststellte, dass die Ukrainer*innen nicht viel darüber wissen. Er wollte eine Wohnung dort kaufen und eine Art Museum einrichten. Daraufhin wurde ihm geraten, sich mit uns in Verbindung zu setzen.“

Eine Gruppe von Aktivist*innen kümmert sich um die Wohnungen. Dazu gehören der Eigentümer Andrij Naboka, ein Teil des Teams des Literaturmuseums – Tetjana Pylyptschuk, Lidija Kalaschnikowa, Oleksandra Tesljuk, Oleksij Jurtschenko, Olena Ruda, der Schriftsteller Serhij Zhadan, der Künstler Oleksandr Sawtschuk und die Kuratoren der Residenzen – Mykola Naboka und Iwan Senin.

Im Jahr 2021 wurde die Charkiwer Residenz „Slowo“ fertiggestellt. Die Wohnung von Lisowyj im Slowo-Haus befand sich in einem mehr oder weniger komfortablen Zustand, und im Juni zogen die ersten Autor*innen ein.

„Ein interessantes Experiment: Wir lassen unsere Autor*innen, die an dem Residenzprogramm teilnehmen, selbst entscheiden, wo in der Wohnung ihr Arbeitszimmer sein sollte. Und jeder wählt den gleichen Ort aus: das Eckzimmer. Sie fühlen sich dort wohl. Wir vermuten, dass Petro Lisowyj sein Arbeitszimmer auch dort hatte. Die Wohnung soll eben für Schriftsteller*innen sehr gut geeignet sein. Das Slowo-Haus wurde nicht zufälligerweise wie ein schriftstellerisches Cohousing erbaut, wie man es heute nennen würde.“

Schriftsteller Serhij Zhadan schenkte der Residenz seinen eigenen Schreibtisch. Er betreut auch die Durchführung von Wohnzimmerveranstaltungen.

Die Wohnung von Scheweljow in der Sumska Straße war jedoch für den Empfang von Autor*innen zunächst ungeeignet.

„Können Sie sich eine sowjetische Kommunalka vorstellen? So war sie auch, und zwar in einem absolut elenden Zustand. Deswegen musste sie zunächst saniert werden. Nun, die hier erfolgte Sanierung kann man nicht als eine klassische Sanierung bezeichnen. Wir haben versucht, möglichst schonend mit dem Raum zu arbeiten. Schicht für Schicht wurden sorgfältig die Spuren der Renovierungen und Veränderungen entfernt. Glücklicherweise handelte es sich dabei nur um kleinere, kosmetische Renovierungen, denn niemand wollte viel in eine Gemeindewohnung investieren.“

Bei der Tapetenentfernung konnte die originale Wandbedeckung freigelegt werden, wie sie zur Zeit von Jurij Scheweljow aussah. Darüber hinaus sind an manchen Stellen die unterschiedlichen Schichten sichtbar, die verschiedene historische Perioden symbolisieren. Hinzu kommt eine moderne Möbeleinrichtung.

„Wir haben die Bergenheim-Fliesen, Türen und Fensterrahmen möglichst in ihrem Originalzustand behalten. Mal schauen, wie es sich in der Wohnung im Winter anfühlt, eventuell werden wir auch die Fenster restaurieren müssen. Unser Architekt hat auch eine Lösung, die die authentischen Bogenfenster aufrechterhalten lässt. Im Allgemeinen macht unserem Architekten Serhij Kangelari die Arbeit an der Wohnung von Scheweljow viel Spaß, zumal er selbst im Salamander-Haus wohnt.“

Bergenheim-Fliesen
Die berühmten Fliesen aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert stammen aus der Fabrik des Charkiwer Herstellers Edward Bergenheim, dem gebürtigen Finnen.

Den Autor*innen zugunsten wurde der Wohnbereich vom öffentlichen Bereich, wo Wohnzimmerveranstaltungen und andere Events stattfinden, getrennt. Die große Fläche der Wohnungen lässt solche Lösungen zu. Für die öffentlichen Veranstaltungen kann man sich über die Facebook-Seite der Residenz anmelden.

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Kunstprojekte

Der Wohnraum von Jurij Scheweljows Wohnung wird bereits seit 2021 für Kunstresidenzen benutzt, nur der öffentliche Raum wird noch eingerichtet. Als erster ließ sich hier der Schriftsteller Jurij Andruchowytsch nieder.

„Sein Interesse galt damals dem Radio. Er schrieb eine Radiosendungmystifikation aus dem Jahr 1930. Wir haben ihm Materialien aus der Korolenko-Bibliothek ausgesucht und Jurij Andruchowytsch hat sich dadurch die neue Lexik angeeignet und sich in die entsprechende Atmosphäre versetzt. Grundsätzlich war das Auftreten von Andruchowytsch in der Wohnung von Scheweljow durchaus symbolisch, da eben Scheweljow in den 1990er den Roman ‚Rekreaziji‘ (in der deutschen Übersetzung ‚Karpatenkarneval‘ – Üb.) mit seiner positiven Bewertung gefördert hat und seitdem waren sie in Kontakt.“

Im August kam der britische Regisseur Jonatan Ben-Shaul in Scheweljows Wohnung. Er beschreibt sein Projekt wie folgt:

„Ich arbeite mittlerweile an einem Film, der Architektur und Tanz verbindet. Er soll unsere andauernden Wechselbeziehungen mit der Architektur erforschen und sie durch den Tanz erfassen. Ein Teil des Films besteht aus Interviews, der andere soll die Bewegung darstellen.“

Um seine Vorstellung von der Wechselbeziehung zwischen Tanz, Theater und Architektur mit den anderen zu teilen (der wohlbekannte Phraseologismus „Über die Architektur tanzen“ bekommt dabei einen neuen Sinn), hat Jonathan Ben-Shaul eine Wohnzimmerperformance veranstaltet. Am Eingang wurden die Gäste von Mykola Naboka empfangen und in die Wohnung gebracht. Mykola Naboka wirkt am Projekt von Ben-Shaul mit, wobei er reizvolle Architekturplastik präsentiert. Am nachfolgenden Tag unternahmen die beiden Künstler einen kurzen Bildungsbesuch in eines der sowjetischen Kinos von Charkiw, um dort zu drehen, zu tanzen und die Wechselbeziehungen dieses sowjetischen Gebäudes mit dem Menschen zu untersuchen.

„Architektur existiert zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Sie schafft Linien, die weit über die Gebäudeumrisse hinausgehen. Wie im Tanz. Hier gibt es die Leere, die mit Bewegung geladen ist.“

Eine der Inspirationsquellen für Ben-Shaul ist das von Jewgenija Bubkina und Oleksij Bykow verfasste Buch „Soviet Modernism. Brutalism. Post-Modernism. Buildings“.

Eine weitere Autorin, die an diesem Ort geschaffen hat, ist die Schriftstellerin Oksana Sabuschko. Hier arbeitet sie vor allem mit den Archivbeständen. Eine Zeit war sie mit Jurij Scheweljow befreundet und hat sogar ihr Briefwechsel veröffentlicht.

Inzwischen haben auch in der Wohnung des Hauses „Slowo“ einige Künstler*innen am Residenzprogramm teilgenommen. Besonders bedeutsam war das Residenzprogramm für Ljubow Jakymtschuk, die das Leben und Werk von Mychajl Semenko erforscht, da sie die Möglichkeit hatte seiner Wohnung gegenüber zu wohnen. Jakymchuk hat gemeinsam mit Taras Tomenko Drehbücher für die Doku und den Spielfilm „Haus Slowo“ verfasst.

Eine weitere Teilnehmerin des Residenzprogramms war Jaryna Zymbal, die öffentlich aktivste Literaturwissenschaftlerin, die den literarischen Alltag der 20-30er Jahre des 20. Jahrhunderts erforscht. Sie hat mehrere Artikel über Walerjan Polischtschuk und Majk Johansen veröffentlicht und die Neuausgabe ihrer Werke lektoriert. Die beiden Künstler haben ebenso in „Slowo“ gewohnt. Beide Forscherinnen haben auch in Charkiwer Archivs und Bibliotheken recherchiert.

Sogar die Kinderschriftsteller*innen hatten die Möglichkeit an diesem Residenzprogramm teilzunehmen: Saschko Dermanskyj, Dara Kornij und Iwan Andrusjak. Iwan Andrusjak ist bereits in den 1990er auf die literarische Bühne von Charkiw getreten, als die Ereignisse und Orte von „Rosstriljane Widrodschennja“ (Hingerichtete Wiedergeburt — Üb.) der Öffentlichkeit erst bekannt gegeben wurden. Damals gehörte er der Gruppe „Die neue Degeneration“ an. Hier hat Andrusjak an der Fortsetzung seines Romans „Meerschweinchenkrimi“ gearbeitet:

„Am ersten Tag habe ich noch nichts geschrieben, da ich noch Einzelnes zu erledigen hatte. Und am nächsten Morgen habe ich am Fensterbrett einen Feder gesehen, den mir ein Vöglein hinterlassen hat. Das war ein Zeichen: ‚Los an die Arbeit, Iwan!‘.“

Das Literaturmuseum organisierte für junge Leser*innen einen Besuch bei Iwan Andrusjak in „Slowo“. Üblicherweise finden solche Treffen im Innenhof des Literaturmuseums statt.

Im Oktober kommt der Berliner Musiker Jurij Gurschy hierher: Gemeinsam mit Serhij Zhadan bereiten sie ein musikalisches Literaturprojekt auf der Basis der Texte ukrainischer avantgardistischen Dichter*innen vor.

Es gab auch viele Wohnzimmerveranstaltungen: Auftritt des Rappers Kurgan, Vortrag der Literaturwissenschaftlerin Tamara Hundorowa, Lesungen der Dichterin Kateryna Kalytko. Die allererste Veranstaltung war jedoch die Präsentation des gemeinsamen Buches von Serhij Zhadan und des Künstlers Pawlo Makow „Fester Wohnsitz“. Laut Tetjana Pylyptschuk war diese Präsentation kein Zufall:

„Zwei prominente Künstler aus Charkiw haben in ‚Slowo‘ präsentiert, wo einst nicht nur Schriftsteller*innen, sondern auch Künstler*innen gewohnt haben. Dies war ein symbolisches Ereignis.“

Aktivist*innen und der meiste Teil der Einwohner*innen haben oft ganz unterschiedliche Vorstellungen von dem, wie der öffentliche und private Raum aussehen soll. Das Verhältnis der Bewohner*innen und der Nachbar*innen von „Slowo“ und „Salamandra“ zu diesen „künstlerischen Treffpunkten“ in ihren Häusern ist nicht eindeutig.

„Im Fall von ‚Slowo‘ sind die Bewohner*innen der weit gelegenen Wohnungen freundlicher als direkte Nachbar*innen. Grundsätzlich finden sie die Idee, die Geschichte des Hauses wieder lebendig zu machen, faszinierend, wollen aber besser abwarten um einschätzen zu können, ob eine Künstlerresidenz überhaupt zu einem Wohnhaus passt. Die Nachbar*innen der Schweljow-Wohnung haben uns noch nicht ertappt, da wir versuchen uns still zu benehmen. In der Scheweljow-Wohnung werden vor allem intellektuelle Treffen durchgeführt, in ‚Slowo‘ dagegen haben die Veranstaltungen eher einen rebellischen Charakter.“

Die Künstler*innen, die sich in der Wohnung von Petro Lisowyj aufhielten, pflegten kleine Geschenke und Zettel für ihre Nachfolger*innen zu hinterlassen. Manchmal bekommt auch die Künstlerresidenz solche Geschenke, wie zum Beispiel das Porträt von Majk Johansen, das Jaryna Zymbal überreicht hat. Hier gibt es auch eine kleine Bibliothek und eine kleine Sammlung der visuellen Kunstobjekte. Einer der Blumentöpfe wurde mit einer Aufschrift versehen: „Blume Switlana. Immer samstags gießen“.

Dank der aktiven Handlungen und der gelungenen Kommunikation wurden zwei auf den ersten Blick verlassene und vernachlässigte Wohnungen zum wichtigen Teil des kulturellen Lebens von Charkiw. Nun bewahren sie nicht nur die bestehende kulturelle Erbe, sondern schaffen und verbreiten eine neue.

unterstützt durch

„House of Europe“ ist ein von der Europäischen Union finanziertes Programm zur Förderung des professionellen und kreativen Austauschs zwischen den Ukrainern und ihren Kollegen aus den EU-Staaten. Leiter des Programms „House of Europe“ in der Ukraine ist das Goethe-Institut. Als Partner des Projektkonsortiums treten British Council, das französische Institut und die tschechischen Zentren auf.

Beitragende

Projektgründer:

Bogdan Logwynenko

Projektmanagerin:

Iwanna Wlasjuk

Ljudmyla Kutscher

Autor des Textes:

Oleg Kozarew

Chefredakteurin:

Natalija Ponedilok

Redakteurin:

Marija Horbatsch

Projektproduzentin,

Drehbuchautorin:

Karyna Piljugina

Interviewerin:

Irina Makarchuk

Produktionsassistentin:

Natalija Wyschynska

Fotograf:

Kostjantyn Husenko

Kameramann:

Serhij Rozow

Serhij Tatarko

Regisseur:

Mykola Nossok

Tontechnikerin:

Anastasija Klymowa

Bildredakteurin:

Kateryna Akwarelna

Transkriptionist:

Taras Beresjuk

Transkriptionistin:

Olha Schelenko

Sofija Basko

Content-Managerin:

Kateryna Jusefyk

Übersetzer:

Alla Mandzjuk

Diana Melnyk

Übersetzungsredakteur:

Solomija Hussak

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