Geschichte des Buchdrucks in der Ukraine: Ostroh, das Zentrum des Verlagswesens

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Die Geschichte des ukrainischen Buchdrucks reicht bis ins 15 Jh. zurück. In verschiedenen Städten entstanden Verlagszentren: Lwiw, Kyjiw, Tschernihiw. Zu einem dieser Zentren zählt die westukrainische Stadt Ostroh.

Trotz Kriegen und politischer Veränderungen ist Ostroh über Jahrhunderte hinweg eines der literarischen Zentren der Ukraine geblieben, selbst während der großangelegten russischen Invasion.

Ostroh
Diese Siedlung wurde erstmals im Jahr 1100 in schriftlichen Quellen erwähnt. Die Stadt ist bekannt für die 1576 gegründete Ostroher Akademie, das Ostroher Schloss (erbaut im 14. Jahrhundert) und die erste Druckerei auf ukrainischem Territorium.

Die Geschichte der Stadt Ostroh ist untrennbar mit der fürstlichen Familie Ostrohski verbunden, die zu den berühmtesten Dynastien der ukrainischen Geschichte gehört, insbesondere in der Zeit zwischen dem 14. und 17. Jahrhundert. Die Mitglieder dieser prominenten Familie waren sehr einflussreich und spielten eine Schlüsselrolle bei der Gestaltung der historischen Geschichte der ukrainischen Gebiete nach dem Zusammenbruch der Kyjiwer Rus und dem Niedergang des Fürstentums Galizien-Wolhynien.

Wasyl-Konstantyn Ostrohski war eine militärische, politische und kulturelle Persönlichkeit und einer der gebildetsten Menschen seiner Zeit. Sein Vater, Konstantin Ostrohski, war ein prominenter litauisch-russischer Philanthrop und Feldherr im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert. Heute trägt die 30. mechanisierte Brigade, die als Elite der ukrainischen Armee gilt, seinen Namen.

Foto von Jurij Stefanjak

Zu seinen Lebzeiten trug Konstantyn Ostrohski zur Entwicklung von Ostroh bei, und nach seinem Tod setzte sein Sohn sein Werk fort. Er gründete in Ostroh eine Akademie und eine Druckerei, in der die Bibel zum ersten Mal ins Kirchenslawische übersetzt und gedruckt wurde.

Heute befindet sich in Ostroh das Buch- und Druckmuseum, das eine der besten Sammlungen alter Drucke aus dem 16. und 17. Jahrhundert in der Ukraine beherbergt. Wir sprachen mit Anatolij Chelenjuk, einem Forscher, der seit der Gründung des Museums im Jahr 1985 dort arbeitet, über die Arbeit im Museum während verschiedener historischer Perioden, einschließlich der Sowjetunion und der russischen Invasion.

Beginn der Arbeit im Museum

Anatolij ist gebürtig aus Ostroh. Er studierte Bibliographie und Bibliothekswissenschaft an der Universität Riwne. Von Kindheit an war er ein großer Bücherfreund und träumte davon, sein Leben mit Literatur zu verbinden.

Foto mit freundlicher Genehmigung der Autorin

In den ersten Jahren nach dem Abschluss sollten die sowjetischen Hochschulabgänger zur Arbeit in einen Ort laut Arbeitszuweisung ziehen. Doch Anatolij schaffte es, in Ostroh zu bleiben, wo gerade an der Eröffnung des Museums für Bücher und Druck gearbeitet wurde. Die Einrichtung sollte eine der Abteilungen des 1981 gegründeten Staatlichen, Historischen und Kulturellen denkmalgeschützten Gebietes von Ostroh werden.

In den ersten zwei Jahren arbeitete Anatolij im Heimatmuseum, das sich im Schloss von Ostroh befindet und unter Denkmalschutz steht. Als 1985 im Schloss das Museum für Bücher und Druck eröffnet wurde, zog Anatolij dorthin. Seitdem war das Museum ein fester Bestandteil seines Lebensund er war ein fester Bestandteil des Museums. In all diesen Jahren hat er Führungen geleitet, Vorträge gehalten und zur Erweiterung der Museumssammlung beigetragen.

Foto mit freundlicher Genehmigung der Autorin

Im Laufe der Jahre hat sich das Museum stark verändert: Es finden Vorträge und Veranstaltungen statt, die Ausstellung wurde mit Hilfe der Digitalisierung modernisiert und umfassender gestaltet, und die Sammlung alter Drucke wird nach und nach digitalisiert.

Als das Museum eröffnet wurde, sah es noch ganz anders aus: Im Erdgeschoss befanden sich Altdrucke, im ersten Stock Bücher aus dem 18. und 19. Jahrhundert und der dritte Stock war der Sowjetzeit gewidmet.

„Die Hauptsammlung musste Bücher über die Plenarsitzungen der KPdSU (Kommunistische Partei der Sowjetunion – Anm. d. Red.) enthalten. Selbst eine wissenschaftliche Publikation aus der Sowjetzeit musste mit Worten über die Partei und einem Lenin-Zitat beginnen, dann folgten die wichtigsten Informationen. Ohne solche Einleitung wurde das Buch nicht veröffentlicht.“

Foto aus offenen Quellen

Trotz dieses ideologischen Teils der Sammlung bemühte sich das Museum um eine wahrheitsgetreue Darstellung der Geschichte. Bei der Geschichte der Ostroher Druckerei aus dem 16. Jahrhundert wurde der Schwerpunkt jedoch etwas verschoben. Aufgrund der antireligiösen Politik der Sowjetunion konnten die Museumsmitarbeiter die Ostroh-Bibel nur am Rande erwähnen. Stattdessen rückte die erste Veröffentlichung der Druckerei, das ABC-Buch „Bukwar“ von Iwan Fedorow, in den Vordergrund. Dies ist eine der ältesten gedruckten ukrainischen Fibeln, die 1578 veröffentlicht wurde. Die wichtigste Leistung der Druckerei war jedoch die erste vollständige Bibelausgabe in kirchenslawischer Sprache. Die grundlegende Figur des Fürsten Wasyl-Konstantyn Ostrohski wurde kaum erwähnt, denn in der sowjetischen Interpretation war er ein Feind des einfachen Volkes.

„Damals war die wichtigste Richtlinie ,Moskau ist der große Bruder‘. Als ob, Iwan Fedorow aus Russland kommen musste, um hier alles aufzubauen.“

Foto mit freundlicher Genehmigung der Autorin

Die Museumsmitarbeiter erklärten den Besuchern jedoch, dass die Arbeit der Druckerei von Fürst Ostrohski finanziert wurde und dass ohne seine Initiative und seinen Beitrag nichts geschehen wäre. Sie erwähnten auch, dass es nur wenige genaue Informationen über den Drucker Fedorow selbst gibt, insbesondere über seinen Geburtsort, es gibt keine zuverlässigen Quellen, nur Vermutungen. Tatsächlich begann er seine Karriere in Moskau, ging aber von dort nach Belarus, dann nach Lemberg und auf Einladung des Fürsten nach Ostroh, wo er die fruchtbarste Zeit seines Lebens verbrachte.

Fürst Konstantyn Ostrohski. Foto bei Wikipedia

Anatolij erinnert sich, dass sich die Mitarbeiter des Buch- und Druckmuseums im Gegensatz zu den mitarbeitern des Heimatmuseums, die ausschließlich über den Zweiten Weltkrieg und alle Errungenschaften der Sowjetunion sprechen mussten, freier fühlten. Es ist bemerkenswert, dass keiner der Museumsmitarbeiter, mit Ausnahme des ernannten Direktors und seines Stellvertreters, Mitglied der Kommunistischen Partei war.

„Am Ende der öffentlichen Sitzung, bei der alle Parteimitglieder und Nicht-Parteimitglieder versammelt waren, wurde darauf hingewiesen: ,Museumsmitarbeiter, ihr müsst der Partei beitreten! Warum verweigert ihr das?‘ Wir lachten leise dabei: ,Ihr werdet es bereuen!‘ ,Gut‘. Ich wurde auch dazu gedrängt, Bibliothekar im Kreisparteikomitee zu werden, aber ich lehnte ab und sagte: ,Auf keinen Fall, das schaffe ich nicht, ich bin zu jung…‘“

Seit der Wiedererlangung der Unabhängigkeit der Ukraine haben sich Inhalte des Museumsrundgangs etwas verändert, wobei der Rolle von Wasyl-Konstantyn Ostrohski mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird. Die Tatsache, dass er eine Schlüsselfigur bei der Entstehung des intellektuellen Zentrums Ostroh war, wird vor allem dadurch belegt, dass die Druckerei einige Jahre nach seinem Tod ihre Tätigkeit einstellte. Die Mitarbeiter gingen an verschiedene Orte: Kyjiw, Warschau, Krakau, Venedig und Athen. Es gibt Informationen, dass Anyssym Radyschewskyj aus Wolhynien in Ostroh das Drucken erlernte und später einer der führenden Meister der Moskauer Druckerei wurde. Die in Ostroh veröffentlichten Bücher und die Werke der Absolventen der Ostroher Akademie hatten auch einen bedeutenden Einfluss auf die Entwicklung des russischen Bildungswesens. Auf der Grundlage „Grammatik…“ von Meletius Smotryzki (1619) erstellte der russische Wissenschaftler Michail Lomonossow später die Grammatik der russischen Sprache (1757). Anatolij merkt an, dass Smotryckis Grammatikbuch schon viele Male in Moskau nachgedruckt worden war, aber der Autor wurde oft nicht erwähnt. Ähnlich geschah es mit der Ostroher Bibel:

„Der Text wurde nachgedruckt, und auf der Titelseite stand, dass es sich um ,die erste gedruckte Moskauer Bibel‘ handelte.“

Foto mit freundlicher Genehmigung der Autorin

Es gab jedoch auch Ausnahmen von der tief verwurzelten Tendenz der Russen, sich die Kulturgüter anderer Leute anzueignen. Es gibt zum Beispiel eine Geschichte darüber, wie der Ostrohische Ursprung einer Publikation nicht verheimlicht wurde. Es handelt sich um die so genannte Elisabethanische Bibel (1751), eine Übersetzung der Ostroher Bibel ins Russische. Das Buch enthält mehrere Vorworte, in einem davon wurde Ostroh und die Druckerei des Fürsten Ostrohski erwähnt, in der Iwan Fedorow arbeitete. Eines der Exemplare dieses alten Buches befindet sich übrigens unter den Exponaten des Museums.

Elisabethanische Bibel. Foto mit freundlicher Genehmigung der Autorin

Büchergeschichte von Ostroh nach der Schließung der Druckerei

Im 16. und 17. Jahrhundert war Ostroh eine multireligiöse, multinationale Stadt mit dem Magdeburger Recht. Dementsprechend gab es neben der orthodoxen Kirche auch eine katholische Kirche, eine Moschee und eine der größten Synagogen Osteuropas. Im Jahr 2018 besuchte Ukraїner die Synagoge und sprach mit einem Anwohner, dem ethnischen Juden Hryhorij Arschynow, der das Gebäude im Laufe von 20 Jahren restauriert hatte. Leider starb der Mann im Jahr 2020 an Komplikationen, die durch Covid-19 verursacht wurden.

Magdeburger Recht
Das Recht, das im 13. Jahrhundert in Deutschland entstand. Die Stadt wurde von der Verwaltungs-, Gerichts- und Verfügungsgewalt lokaler Feudalherren befreit, denen die Städte gehörten, und stattdessen bildete man die Stadtregierung.

In Ostroh gab es auch Schulen und Bibliotheken mit verschiedenen Sammlungen. Anatolij erzählt:

„Es gab viele Bücher in Ostroh, und es gibt Belege dafür, dass sie hierher kamen, kurz nachdem sie gedruckt worden waren. Aus einer Aufzeichnung in der Bibliothek des Ostroher Jesuitenkollegiums geht hervor, dass ein 1627 in Paris gedrucktes Buch bereits 1628 in Ostroh ankam.“

Viermal im Jahr fanden in Ostroh Messen statt, die Kaufleute aus verschiedenen Teilen Europas zogen hierher und die Stadt blühte auf. Es ist bekannt, dass auch nach der Schließung der Druckerei noch eine Buchbinderei betrieben wurde.

Der Wohlstand der Stadt währte nicht lange, da der nationale Befreiungskrieg von 1648–1657 unter der Führung von Bohdan Chmelnyzkyj begann, der die Befreiung des ukrainischen Volkes von der Herrschaft der polnisch-litauischen Union zum Ziel hatte. Infolge des Krieges erlitt Ostroh große Zerstörung. Alle Druckereien, die danach entstanden, waren nicht so groß und produzierten hauptsächlich Kataloge, Zeitschriften und Postkarten.

Bohdan Chmelnyzkyj
Ukrainischer Politiker, Feldherr und Diplomat, Führer der nationalen Befreiungsbewegung von 1648–1657, Gründer des ukrainischen Kosakenstaates und der erste Hetman.

Anatolij erinnert sich daran, dass vor einigen Jahrzehnten ungeachtet des Buch- und Druckmuseums und des Ostroher Schlosses die Assoziationen mit der Stadt vor allem mit der lokalen psychiatrischen Anstalt verbunden waren, und es gab grobe Witze diesbezüglich. Dies änderte sich nach der Wiederbelebung der Ostroher Akademie Anfang der 1990er Jahre. Seitdem hat die Stadt ihren Ruhm als kulturelles und intellektuelles Zentrum wiedererlangt.

Die Mitarbeiter des Museums arbeiten weiter und informieren die Besucher über das ukrainische Buchwesen, auch wenn der Krieg in vollem Gange ist. In den ersten sechs Monaten nach Ausbruch des großangelegten Krieges waren die Türen des Museums für Besucher geschlossen und die Exponate versteckt, aber jetzt ist das Museum in vollem Betrieb. Unter den Besuchern sind viele Menschen, die auf der Flucht vor dem Krieg in Ostroh gelandet sind.

„Die Gefahr ist noch nicht gebannt, also sind wir auf der Hut. Aber wir müssen arbeiten!“

Beitragende

Projektgründer:

Bogdan Logwynenko

Autorin des Textes:

Sofija Kotowytsch

Redakteurin:

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Chefredakteurin:

Natalija Ponedilok

Fotografin:

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Bildredakteur:

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Übersetzerin:

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Übersetzungsredakteur:

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