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Wjatscheslaw Derjabin aus Poltawa ist 60 Jahre alt. Die letzten fünf davon schnitzt er Holz. Diese Geschichte ist darüber, wie selbst ein Mensch, der einen schweren Lebensweg gegangen ist, eine Beschäftigung finden konnte, die inspirieren kann. Wjatscheslaw kam als Jugendlicher ins Gefängnis, überwand den Alkoholismus und eine Krankheit, wegen welcher er auf einen Rollstuhl umsteigen musste. Dennoch konnten selbst diese schwierigen Lebenssituationen seine Kreativität und Liebe zum Holz, die in Wjatscheslaw in einem Alter entfachte, in dem es in der Ukraine üblich ist über die Rente nachzudenken, nicht mindern.

Das Holz hat in den Werken dieses Meisters ein möglichst natürliches Aussehen. In dieser Einfachheit und Natürlichkeit sieht Wjatscheslaw die wahre Schönheit. Lange Zeit hat Wjatscheslaw Derjabin als Landschaftsgestalter gearbeitet. Er hat es schon immer gemocht, etwas zu erschaffen und zu erfinden:

„Ich habe mich mein Leben lang mit dem Design beschäftigt. Habe eine Ausbildung an einer Berufsschule gemacht und immer als Hilfsarbeiter bei privaten Baumaßnahmen mitgewirkt. Und es ist, wie ihr wisst, nicht das gleiche wie bei einem echten Bau zu arbeiten. Da wird alles gebaut — die Toilette, das Haus, wird alles sofort verkleidet etc. Die Arbeit ist dabei vielfältiger.“

Wjatscheslaws Meinung nach ist das wichtigste für einen Mann eine Beschäftigung zu haben:

„Ein Mann braucht eine Beschäftigung. Er darf nicht zuhause rumsitzen, die Ehefrau nerven und irgendwelche Probleme bereiten. Er muss mit seiner Arbeit beschäftigt sein. Und dann wird bei uns alles gut sein. Wir werden nicht darauf achten, was die Regierung macht, sondern alle unser Ding machen und sich dabei verändern.“

„Angenommen ich baue einen Stuhl für jemanden, und derjenige gibt mir dafür einen Kohl aus dem eigenen Garten. Jeder muss sich mit seiner Sache befassen, der Sache, die er über alles liebt und dann werden es alle gut haben.“

Bearbeitung von Holz

Die alte Scheune hat Wjatscheslaw mit seinem Sohn in eine Werkstatt umgebaut, in welcher sich der Mann nun problemlos im Rollstuhl fortbewegen kann. Hier gibt es eine Menge Holz, Teile zukünftiger Werke und Gemälde. Für Wjatscheslaw ist die Werkstatt ein Ort, an dem er ganze Tage verbringen kann, ohne erschöpft zu werden:

„Das hat mich begeistert. Es ist angenehm diesen Holzduft zu atmen, es fühlt sich weich in den Händen an. Einige schleifen es bis zu einem Zustand, in dem es nicht mehr wie Holz aussieht. Und es muss lebendig sein, es muss atmen.“

Jedes Holz lässt sich anders bearbeiten, was bei der Arbeit beachtet werden muss:

„Das Material gibt selbst einen Hinweis, wie man es behandeln soll. Hier, seht ihr, — ein Regal. Es ist nicht geschliffen und nicht poliert, aber es hat eine Seele. Und jetzt befestigt es an irgendeiner Oberfläche und ihr werdet nicht mehr wegschauen können. Ihr werdet es morgens anschauen, beim Kaffeetrinken, mittags, wenn ihr kommt um einen Borschtsch zu essen und auch abends werdet ihr es sehen, weil es einfach auffällt. Weil es Holz ist, ein echtes Holz, imperfekter Form, ganz natürlich.“

Der Mann vergleicht die natürliche Schönheit des Holzes mit dem Menschen. Menschen wären nur dann interessant, wenn sie echt sind.

Motivation? Nie gehört.

Wjatscheslaw Derjabin glaubt nicht an die Motivation. Für ihn ist das Erschaffen von etwas Neuem nur eine Arbeit, man macht es einfach:

„Es gibt so einen Spruch aus irgendeinem Film: ‚Wenn du wirklich etwas willst, dann mache einfach einen Schritt nach vorne‘. Willst du etwas tun — geh nach draußen, schwing den Besen ein Paar Mal und schon hast du etwas getan. Das gleiche ist hier: Alle Teile entstehen irgendwie, Hauptsache: die Richtung stimmt. Du ergreifst diese Richtung und arbeitest.“

Jedes seiner Werke ist einmalig, denn die meisten von ihnen sind experimentell. Am Anfang bestimmt der Meister ungefähr was und aus welchem Holz er erstellen will und fängt an, daran zu arbeiten:

„Entwerfen ist so eine Sache, die nach und nach begeistert. So eine Art Kettenreaktion. Zum Beispiel hat man etwas gebaut, es hingehängt, und dann schaut man und stellt fest, dass etwas für das Gesamtbild fehlt. Dann fügt man hier ein Stäbchen hinzu, hier eine Linie, da einen Punkt, usw. Und so entsteht eine Komposition.“

Der Meister nimmt bezahlte Aufträge sehr ernst. Er kann manchmal sehr lange über die gestellte Aufgabe nachdenken. Die beste Zeit zum Denken sei die Nacht, sagt er, denn nachts lenkt Einen nichts ab. Jedoch vertrauen die Kunden oft vollkommen dem Geschmack des Autors, ohne irgendwelche Vorgaben zu machen:

„Und da tritt bei mir das Gefühl der Verantwortung hervor, denn ich muss etwas erstellen, was niemand hat. Sodass beim Kunden keine offenen Fragen bleiben.“

In seinen Werken stellt Wjatscheslaw oft die Natur dar. Er stellt nicht nur Bilderrahmen her, sondern malt manchmal auch Dinge, die er nie in echt gesehen hat. Einige der Bilder sind in Englisch beschriftet. Zum Beispiel das Werk „North Sea“. Er hat die Nordsee nie gesehen, entschied sich aber genau für diese Farben, um zu zeigen, wie sie sein könnte:

„Unsere Leute denken immer, dass eine englische Beschriftung ein Produkt stärker, attraktiver, qualitativer macht. Wir sind doch in der dritten Generation Sowjet-Menschen und das hat sich so irgendwie eingeprägt — wenn es auf Englisch ist, dann ist es besser. Wir haben leider vergessen, dass es Zeiten gab, als Engländer, Deutsche, Italiener zu uns zum Arbeiten kamen.“

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Wjatscheslaw gibt zu, dass ihn schon immer die Handarbeit interessiert hat. Für ihn ist der eigentliche Prozess wichtig, und das Material kann unterschiedlich sein — Stein, Metall, Holz.

Er findet, wenn ein Mensch etwas erreichen will, sei das Talent allein nicht ausreichend:

„Selbst, wenn jemand ein Talent hat, ist das noch nicht alles. Ich habe zum Beispiel einen Freund, einen sehr talentierten Musiker. Er kann alles spielen, sogar mit leeren Flaschen. Aber wenn man ihn bittet einfach etwas auf der Gitarre zu spielen, will er nicht. Ich sage ihm, er soll einfach er selbst sein und dann kommt die Musik von allein. Und er will nicht. Er ist außerdem momentan arbeitslos. Und was soll das Talent? Wenn man sich selbst keinem zeigt, wenn dich niemand schätzen kann, dann gehst du sicherlich einen falschen Weg. Und zu mir kommen zum Beispiel die Nachbarn, für den Einen habe ich etwas gemacht, für den Anderen noch etwas. Sie bieten mir alle Geld an, ich nehme es, da ich weiß, dass diese Arbeit etwas wert ist.“

Die Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes ist für Wjatscheslaw zur größten Motivation geworden:

„Als ein Bein versagt hatte, bin ich sehr wütend geworden. Es taucht dann ein Selbstschutz-Instinkt auf und alles wird auf die Überwindung gerichtet. Und so bin ich in meiner Arbeit zielgerichteter geworden, da ich nicht mehr nutzlos rumsitzen und über unwichtige Themen sprechen konnte.“

„Ich bin vollkommen mit meiner Arbeit beschäftigt. Sie begeistert mich. Und meine Behinderung hat mich noch stärker zum Handeln bewegt. Wie es heißt: ‚Gott nimmt, Gott gibt‘.“

Wie wir gefilmt haben

Herzerwärmende Treffen in Poltawa, den Turm der „Tankstellen-Königin“ und unseren Besuch in der Werkstatt von Wjatscheslaw Derjabin könnt ihr in unserem Videoblog sehen.

Beitragende

Projektgründer:

Bogdan Logwynenko

Autorin des Textes:

Maryna Odnorog

Redakteurin:

Jewhenija Saposchnykowa

Projektproduzentin:

Natalka Pantschenko

Kameramann:

Dmytro Ochrimenko

Pawlo Paschko

Kameramann,

Tontechniker:

Pawlo Paschko

Fotografin:

Anna Tschapala

Julija Rublewska

Regisseur,

Filmeditor:

Mykola Nossok

Bildredakteur:

Olexandr Chomenko

Transkriptionistin:

Tanja Tarasowa

Übersetzer:

Petro Jurkewych

Übersetzungsredakteurin:

Elina Fojinska

Folge der Expedition