Krieg ist Frieden: Die gegenwärtigen Kriege Russlands und seine imperialistische Kultur

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Ein tiefer Einblick in den russischen Imperialismus und das Elend, das er 30 Jahre lang gesät hat.

Russlands gesellschaftliche Sicht auf Krieg ist verdreht. Eine anschauliche Illustration ist das oben gezeigte Bild, auf dem ein russischer Soldat eine Kanone mit der Aufschrift „Frieden für dein Zuhause“ lädt, während er sich darauf vorbereitet, die Stadt Bamut in Tschetschenien zu bombardieren. Dieses Foto wurde 1996 aufgenommen. In 26 Jahren scheint sich nichts geändert zu haben. Im April 2022 schrieben russische Soldaten „Frohe Ostern“ auf Bomben, die sie auf ukrainische Städte abwarfen.

Während der Eurovision 2022 rief der ukrainische Kandidat Kalush Orchestra um Hilfe für die belagerten Verteidiger von Mariupol. „Helfen Sie Mariupol, helfen Sie Asowstal jetzt“, sagte der Musiker von der Bühne. Russische Luftfahrtoffiziere schienen den Wettbewerb ebenfalls geschaut zu haben: Bald darauf veröffentlichten sie Bilder von Bomben, die auf Mariupol abgeworfen werden sollten, mit Aufschriften, die Kalushs leidenschaftliches Plädoyer verspotteten.

Seit Jahrhunderten ist die Verherrlichung des Krieges in der russischen Kultur stark ausgeprägt. Invasionen in andere Länder hielten oft eine instabile imperiale Gesellschaft zusammen. Die historische Liste der russischen Kriege ist kaum zu glauben. Sie werden wahrscheinlich müde vom Scrollen, bevor Sie die Moderne erreichen. Der Dichter Alexander Puschkin, von vielen als „russischer Shakespeare“ bezeichnet, schrieb 1831:

„Glauben Sie, wir sind zu wenige?
Von der Stadt Perm bis zur Krim
Von finnischen Klippen bis zu georgischen Küsten
Von Kremls Hallen zu Chinas Mauern
Mit glänzendem Stahl von Soldatenspießen
wird sich die russische Nation nicht erheben?“

Als Russland den Warschauer Aufstand im 19. Jahrhundert brutal niederschlug, richtete Puschkin dieses Gedicht an die empörten europäischen Länder und sagte im Wesentlichen: „Polen ist unsere Kolonie, und wir können viel Schlimmeres tun, wenn Sie sich nicht um Ihre eigenen Angelegenheiten kümmern“. Diese Haltung von „die Macht hat Recht“ hielt sich über Jahrhunderte, egal welche Regierung an der Macht war: ob Zar Nikolaus I., Diktator Stalin oder Präsident Putin.

Über die jahrhundertealte imperialistische Kultur Russlands könnte man mehrere Bücher schreiben. In diesem Artikel schauen wir uns an, wie diese „ehrwürdigen“ Traditionen der Kolonialkriege von 1990 bis 2021 fortgesetzt wurden (Russlands aktueller Krieg in der Ukraine verdient eine gesonderte Berichterstattung).

Bewaffneter Konflikt in Transnistrien (1990–1992)

Nach dem Zusammenbruch der UdSSR war der Konflikt in Transnistrien der erste Versuch der koloniale „peacekeeping“ von dem modernen Russland (in Wirklichkeit – militärische Einmischung in junge unabhängige Länder). Es war auch eines der ersten Male, dass Russland seine ehemaligen „Kolonien“ (d. h. ehemalige Sowjetrepubliken) frei und unabhängig eigene Wege gehen ließ. Eine Chance, die es nicht nur ignorierte… sondern missbrauchte.

Seit 1998 brauten sich in Moldau Spannungen zusammen. Die UdSSR hatte einen fruchtbaren Boden für den Konflikt geschaffen: Sie gründete Transnistrien als autonomes Verwaltungsgebiet, stationierte dort die 14. sowjetische (später russische) Armee und versuchte, das moldauische Parlament zu zwingen, Russisch als die einzige Landessprache anzuerkennen.

Die Situation verschärfte sich 1991–1992, als sich die Sowjetunion endgültig auflöste und Moldau von den Vereinten Nationen als unabhängiger Staat anerkannt wurde. Es war die Stunde der Wahrheit für das „neue“ Russland … und es entschied, ein Imperium zu bleiben. Es konnte Moldau nicht gehen lassen.

In der Nacht vom 1. auf den 2. März 1992 griffen irreguläre russische Truppen eine Polizeistation in Transnistrien an und nahmen 32 Polizisten als Geiseln an. Bald brachen Kämpfe in den moldauischen Städten Dubăsari und Bender aus. Die russische Armee versorgte die Separatisten mit gepanzerten Fahrzeugen (ein Déjà-vu von russischen Behauptungen im Jahr 2014, dass „Donezker Separatisten einfach verlassene Panzer in Kohleminen gefunden haben“).

Während des Konflikts beschossen russische Streitkräfte ständig das moldauische Militär. Die in Transnistrien stationierte reguläre russische Armee zählte 14.000 Soldaten. Die örtliche Separatistenregierung hatte 9.000 Soldaten, die von den Russen bewaffnet und ausgebildet wurden. Im Juli 1992 musste Moldau nach schweren Verlusten ein Friedensabkommen mit dem Aggressoren unterzeichnen. Seitdem ist der Konflikt eingefroren.

Transnistrien wird immer noch von keinem anderen souveränen Land der Welt anerkannt. Russlands Truppen blieben dort bis 2022, um Moldau zu erpressen und den russischen Einfluss dort auszuüben.

Es ist auch wichtig, den langfristigen Einfluss der imperialistischen Ambitionen Russlands auf die Menschen an Orten wie Transnistrien zu beobachten. Zu Sowjetzeiten war Transnistrien die wohlhabendste Region der Republik Moldau, die 40 % ihres BIP erwirtschaftete.

Nachdem Russland den Konflikt auf diesem Territorium „eingefroren“ hatte, geriet Transnistrien in eine Spirale aus Armut und Kriminalität: Es ist völlig abhängig von russischen Subventionen, die kommen und gehen (2017 stellte Russland seine Zahlungen ein und Transnistrien stand kurz vor einer buchstäblich leeren Staatskasse); es ist eine Drehscheibe für Schmuggel und illegale Waffengeschäfte; viele Journalist:innen und politische Analyst:innen behaupten, es sei ein Land, das de facto von der lokalen Mafia kontrolliert wird.

Wie Sie bald sehen werden, folgt das Elend überall hin, wo das moderne russische Imperium hingeht.

Der Erste Tschetschenienkrieg (1994–1996)

Bezüglich des Masseneinsatzes seiner Streitkräfte und schwerer Waffen war der Erste Tschetschenienkrieg der erste großangelegte und blutige Krieg des modernen Russlands. Dieser wurde zu einer „Testschule“ für russische Piloten, Panzerfahrer und Artillerieoffiziere, die ihre Chance bekamen, „zu üben“, wie man ganze Städte in Ruinen verwandelt. Dieses Wissen werden sie später in Syrien und dann in der Ukraine nutzen.

Bemerkenswert ist, dass all das während der vermeintlichen „russischen Liberalisierung“, der Euphorie über den Untergang der UdSSR stattfand, in einer Zeit, in der Michael Jackson, die Clintons und Arnold Schwarzenegger in einer „neuen und freien Moskau“ für Fotos posierten. Der Westen wollte glauben, dass Freiheit und Veränderung möglich seien … Aber zu diesem Zeitpunkt war Russland bereits entschlossen, sein unterdrückerisches Imperium wiederzubeleben. Kolonialkriege wurden im Hintergrund geführt, weitgehend unbemerkt von der demokratischen Welt.

Die Gründe für den Kriegsbeginn waren bedrückend ähnlich: In den Jahren 1990–1991 begann in Tschetschenien (einer kleinen Sowjetrepublik) ein politischer Prozess mit dem Aufruf, die Sowjetunion zu verlassen, um ein unabhängiger Staat zu werden. Dies führte zu einem heftigen Kampf zwischen pro-sowjetischen und pro-unabhängigen Tschetschenen, wobei letztere schließlich gewannen und ihr Anführer Dschochar Dudajew 72,1 % der Stimmen für das Präsidentenamt erhielt. Dies löste in Moskau Panik aus, als Tschetschenien ihrer Kontrolle entglitt.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion begann Moskau, lokale regierungsfeindliche Bewegungen zu finanzieren, sie mit Waffen zu versorgen und russische Spezialeinheiten einzusetzen. Die damaligen Handlungsmuster der russischen Regierung lassen sich von denen, die in den Jahren 2014–2022 gegen die Ukraine eingesetzt wurden, kaum unterscheiden.

All diese Methoden scheiterten damals in Tschetschenien. So griff der russische Präsident Boris Jelzin 1994 zu einer großangelegten Invasion Tschetscheniens. Jelzins Sicherheits- und Militärberater überzeugten ihn, dass „die Operation schnell sein würde“ und dass „die Einheimischen russische Soldaten mit Blumen begrüßen würden“… buchstäblich derselbe Rat, der Putin in Bezug auf die Ukraine gegeben wurde und welcher zum spektakulären Scheitern der „russischer Blitzkrieg“ von Kyjiw führte. Das Spielbuch des imperialen Denkens hat sich in fast 30 Jahren nicht geändert.

Zu den bewaffneten Auseinandersetzungen, die 1994 in vollem Umfang aufflammten, gehörten der russische Beschuss militärischer Einrichtungen, die Durchführung von Bombenangriffe und die fast vollständige Zerstörung der tschetschenischen Hauptstadt Grosny. Der Präsident von Tschetschenien, Dschochar Dudajew, wurde 1996 von russischen Spezialeinheiten ermordet. Dies war der erste von vielen politischen Morden an tschetschenischen Anführern durch Russland.

Um den Krieg vor seinen Wählern zu rechtfertigen, nannte der russische Präsident Jelzin ihn „eine Sonderoperation zur Verteidigung Russlands vor Extremisten“. Andere Mischmasch-Ausreden der russischen Regierung waren ein angeblicher „Völkermord an Russen in Tschetschenien“ und „Tschetschenien exportiert Kriminelle und Terroristen in unser Land“.

Das Kampfgebiet kam zum Stillstand, nachdem die russische Armee die zerstörte Hauptstadt Grosny erobert hatte, aber eine Niederlage erlitt, als sie versuchte, die abgelegenen Bergregionen Tschetscheniens zu erobern. Im Juli 1996 wurde ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet, doch Russland weigerte sich, seine Anforderungen zu erfüllen (ein weiteres Deja-vu, wenn wir uns darauf stürzen, dass Russland die Vereinbarungen von Minsk nicht einhält). Der Krieg wurde wieder aufgenommen, was diesmal zu einer vollständigen russischen Niederlage und der Befreiung Grosnys durch die Tschetschenen führte. Am 31. August 1996 wurde das Chassawjurt-Abkommen zwischen den Kriegsparteien unterzeichnet, indem der Konflikt für die nächsten drei Jahre eingefroren wurde.

Die geschätzten Opfer des Krieges variieren stark. Je nach Quelle werden zwischen 10.000 und 200.000 zivile Todesopfer durch russische Bombenangriffe genannt. Russland behauptete, mehr als 17.000 tschetschenische Soldaten getötet zu haben. Das Komitee der Soldatenmütter Russlands schätzte die Zahl der toten russischen Soldaten oder MIA auf 14.000.

Eine humanitäre Krise während des Krieges zwang 200.000 tschetschenische Geflüchtete zur Flucht in benachbarte Regionen.

Der Zweite Tschetschenienkrieg (1999–2009)

Nach dem Ersten Krieg hatte Tschetschenien ein funktionierendes Parlament, eine funktionierende Regierung und eine nationale Währung. Es wurde jedoch von keinem Land der Welt als unabhängiger Staat anerkannt. Darüber hinaus führte die lange Geschichte religiöser und ethnischer Spannungen im Nordkaukasus, die durch die russische imperiale Bedrohung und den Zusammenbruch der UdSSR angeheizt wurden, zu weiteren regionalen Konflikten. Im August 1999 brachen Kämpfe zwischen Dagestan (einer anderen kleinen ehemaligen Sowjetrepublik) und Tschetschenien aus. Die tschetschenische Führung hat Dagestan mit Gewalt eine Übergangsregierung auferlegt.

Aus Angst, dass Tschetschenien eine Regionalmacht werden und weitere Republiken von Russland loslösen würde, entschied sich Moskau erneut für eine Invasion. Die Rhetorik zur Rechtfertigung der Invasion kreiste um die gleichen Anschuldigungen: Die Tschetschenen wurden zu internationalen Terroristen erklärt, die Russland angreifen wollten.

Diesmal könnte die Propagandakampagne jedoch viel weiter gehen. Im September 1999 erschütterte eine Reihe von Terroranschlägen Moskau, Bujnaksk und Wolgodonsk. Hunderte Menschen starben. Die russische Regierung gab tschetschenischen Terroristen die Schuld, doch später ergab eine Untersuchung, dass die Hauptverdächtigen slawischer und zentralasiatischer Herkunft waren. Als die Fakten bekannt wurden, spielte es jedoch keine Rolle – die öffentliche Meinung hatte sich bereits gebildet. Das Land war verängstigt und bereit, das zu akzeptieren, was Putin als „Verteidigungskrieg“ bezeichnete.

Wie bei den meisten anderen russischen Kriegen war mindestens eine der treibenden Kräfte Putins Kampagne für Wählerpopularität als militärischer starker Mann, „Verteidiger der Ordnung“ und Erneuerer der imperialen Größe Russlands. Tschetschenien wurde zum ersten Land, in dem Putin diese Taktik ausprobierte. Dort lernte er die politische und propagandistische Technologie, die russische Gesellschaft für Invasionen zu mobilisieren, die Vorteile der Wählerunterstützung und „kurze siegreiche Kriege“ zu nutzen, um die Russen durch den Mythos des „großen und mächtigen Reiches“ von der Armut abzulenken.

Obwohl es nicht verwunderlich ist, dass nie handfeste Beweise gefunden wurden (in einem Land, das von einem ehemaligen KGB-Präsidenten regiert wird), glauben viele Aktivist:innen und Oppositionelle immer noch, dass die Terroranschläge, die angeblich von Tschetschenien angestiftet wurden, wahrscheinlich FSB-Operationen gewesen sein könnten. Die Nachwirkungen dieser Ereignisse wurden durch Verschwinden, Vergiftungen und Vertuschungen von Zeugen oder Teilnehmer:innen der Verbrechen überschattet.

„[Es besteht] kein ernsthafter Zweifel, dass Putin infolge eines Terroraktes gegen sein eigenes Volk an die Macht kam. Jemand, der zu einem solchen Verbrechen fähig ist, ist zu allem fähig. Die richtige Haltung ihm gegenüber ist Abwehr, nicht Partnerschaft“, sagt David Satter, Investigativer Journalist.

Gegen Zivilist:innen war der Krieg selbst durch ein noch größeres Maß an Brutalität gekennzeichnet. Die russische Regierung nannte es eine „Operation zur Terrorismusbekämpfung“, doch 15 Dörfer dieses winzigen Landes wurden von der russischen Luftfahrt zerstört und 20.000 Menschen wurden obdachlos zurückgelassen. Grosny wurde erneut beschossen und verwandelte sich diesmal fast in ein flaches Ödland.

Der Krieg war blutig und lang, dauerte 10 Jahre und endete mit der russischen Besetzung Tschetscheniens und der Ernennung eines Kremltreuen Diktators – Ramsan Kadyrow (heute bekannt für seine Folter- und Unterdrückungspraktiken gegen sein Volk). Die geschätzten Opfer des Zweiten Tschetschenienkrieges reichen nach verschiedenen Quellen von 50.000 bis zu 80.000 Menschen.

Beide Tschetschenienkriege hängen mit einem weiteren unangenehmen Aspekt der russischen Gesellschaft und Politik zusammen, der vom Kreml-Regime verzweifelt vertuscht wird. Ähnlich wie im aktuellen russisch-ukrainischen Krieg brauchte die russische Regierung einen Grund, das Land gegen die „Anderen“ zu mobilisieren, denn ohne gesellschaftliche Unterstützung ist kein Krieg möglich.

Da die Tschetschenen ethnisch anders waren als die slawische Bevölkerung von Ballungsgebieten wie Moskau und St. Petersburg, gab es einen einfachen (und bösen) Weg, die Gesellschaft zu vereinen: sie gegen die beängstigende „islamische kriminelle“ Bedrohung zu sammeln. Viele Analyst:innen der russischen Politik stellen fest, dass ihre Propaganda oft ein verzerrter Spiegel ist, ein perverses Kinderspiel „Ich bin es nicht, du bist es“. Wenn das Kreml-Regime jemandem etwas vorwirft, ist es sehr wahrscheinlich, dass Russland es selbst tut. Freudsche Ausrutscher sind ein fester Bestandteil russischer Staatslügen.

So ist es mit dem Kreml, der ständig andere des Nazismus beschuldigt. Sie greifen so schnell zu diesem Argument, insbesondere weil Russland selbst eine schmutzige Geschichte ultranationalistischer Bewegungen und rassistischer Gewalt hat. Zudem haben viele ihrer aktiven Politiker:innen eine dunkle Vergangenheit. Ein Beispiel ist Dmitrij Rogosin, derzeitiger Leiter der russischen Weltraumbehörde, ehemaliger stellvertretender Ministerpräsident und ehemaliges aktives Mitglied der ultranationalistischen Partei RNE (Russische Nationale Einheit), die eine herausragende Rolle in der Innenpolitik der Tschetschenienkriege spielte.

Tatsächlich setzten sich diese rechtsextremen radikalen Verbindungen 2014 und 2022 in Russlands Kriegen in der Ukraine fort. Die LNR- und DNR-Separatisten und die private Söldnergruppe des Kreml, Wagner, haben starke Verbindungen zu ultranationalistischen extremistischen Gruppen. Umso absurder und heuchlerischer wirken die russischen Anschuldigungen gegen das ukrainische Asow-Bataillon.

Der Südossetische Krieg, der Abchasienkrieg und der Russisch-Georgische Krieg (1991–2008)

Der Konflikt in der schönen, aber leidgeprüften Region des Südkaukasus wurde erneut durch den Zusammenbruchs der UdSSR angestoßen. Südossetien und Abchasien waren Teil der Georgischen Sowjetrepublik. Von 1989 bis 1993 eskalierten die Spannungen zwischen diesen angeblich sowjetisch geprägten Regionen und Georgien (das versuchte, seine souveränen Grenzen zu festigen) zu bewaffneten Feindseligkeiten.

In den 1990er Jahren beschränkte Russland seine Beteiligung an den Konflikten und präsentierte sich als Friedensstifter. Es versorgte jedoch beide Seiten mit Waffen und unterstützte die Separatisten aktiv mit irregulären Kräften. Unter russischem Druck wurden beide Konflikte eingefroren, wobei Russland eine „peacekeeping“ Militärpräsenz in beiden abtrünnigen Gebieten beibehielt. Dadurch wurden faktisch zwei Regionen geschaffen, die aufgrund wirtschaftlicher und militärischer Abhängigkeit von Russland kontrolliert wurden und zur Erpressung Georgiens (ähnlich wie Transnistrien und Moldau) genutzt werden konnten.

Die Eskalation zum offenen Krieg zwischen Russland und Georgien begann mit großangelegten russischen Militärübungen in der Region Südossetien. Viele Open-Source-Forscher:innen behaupten nun (basierend auf der hohen russischen Militärbereitschaft und dem Standort seiner Truppen), dass Russland wahrscheinlich den Verlauf des gesamten Konflikts geplant habe.

Von Russland finanzierte südossetische Streitkräfte drangen stetig in die Nähe georgischer Gebiete vor; mögliche vom Kreml gesponsorte Provokationen und Attentate haben die Spannung bis zugespitzt; Die russische Armee wartete auf eine Reaktion Georgiens, die einen Vorwand für die Invasion liefern würde.

Am 8. August startete Moskau unter dem Vorwand der „Verteidigung russischer Bürger“ einen umfassenden Angriff auf georgisches Territorium. Russische Flugzeuge bombardierten georgische Städte und Bodentruppen des Kreml besetzten georgische Gebiete.

„Dies ist eine Operation zur Durchsetzung des Friedens“, der russische Präsident Dmitri Medwedew.

Die Kämpfe endeten am 12. August, als die georgischen Streitkräfte unter Druck gesetzt und überwältigt wurden. Die russische Armee stieß zusammen mit der südossetischen Miliz bis zur georgischen Hauptstadt Tiflis vor. Der Krieg endete damit, dass der französische Präsident Nicolas Sarkozy in Moskau ankam und angeblich mit seinem russischen Amtskollegen Dmitri Medwedew (einer Figur, von der viele behaupten, sie sei Putins Marionette, die nun eifrig Russlands Brutalität in der Ukraine verteidigt) über ein Ende der Feindseligkeiten verhandelte.

Nach dem Krieg erkannte das russische Parlament Südossetien und Abchasien als unabhängige Staaten an (sie werden immer noch von keinem anderen Land anerkannt); Human Rights Watch kam zu dem Schluss, dass Georgien nie gezielt Zivilisten angegriffen hatte, während Russland fliehende Geflüchtete und besiedelte Gebiete ins Visier genommen hatte. Der Krieg führte zu 192.000 Geflüchteten; 224 getötete Zivilisten und 15 Vermisste; 547 verletzte Zivilisten.

Und was ist mit Abchasien und Südossetien? Wie geht es ihnen heute nach russischem „peacekeeping“ und „Schutz“? Möglicherweise bemerken Sie hier ein Muster. Erinnern Sie sich daran, dass Transnistrien vor der russischen Intervention die wohlhabendste Region Moldaus war? In der Sowjetzeit war Abchasien ein wohlhabender subtropischer Ferienort an der Küste des Schwarzen Meeres. 2001 wurde es als eine der ärmsten Regionen der Welt eingestuft. Nach 2008 wurden russische Touristen zu seiner Haupteinnahmequelle und linderten die Armut ein wenig. Jedoch zerfällt die lokale Infrastruktur immer weiter und (ähnlich wie in Transnistrien) ist die Unterstützung durch Russland unzuverlässig, wodurch das Land oft bankrott geht, aber dennoch abhängig bleibt.

Südossetien ist in einer ähnlichen Lage: Die Einheimischen leben von der Selbstversorgung durch Landwirtschaft, und die meisten Fabriken sind geschlossen. 2010 machten russische Subventionen 99 % des Staatshaushalts aus, doch das „große Imperium“ stellt nur das Nötigste zur Verfügung, um sich die Loyalität der lokalen Eliten zu erhalten.

Die „weiche“ Reaktion der internationalen Gemeinschaft auf die russische Aggression in Georgien wird heute von vielen als das angesehen, was Putins Regime ermutigt hat, mit ähnlichen Invasionen weiter zu machen, was zuerst in der Annexion der Krim eskalierte. Darauf folgte die Invasion von Teilen der Regionen Donbas und Luhansk, was schließlich zum großangelegten Krieg in der Ukraine im Jahre 2022 führte.

Man sieht: In der Geopolitik, wie auch im Alltag, fördert fehlende Bestrafung meist weitere Verbrechen.

Die rechtswidrige Annexion der Krim (2014 – bis heute)

Die rechtswidrige Annexion der Krim wurde durch die Revolution der Würde in der Ukraine beschleunigt, als der von Russland unterstützte Präsident Viktor Janukowytsch aus dem Land floh. Der Kampf der Ukrainer:innen gegen die Tyrannei wurde zu einem schrecklichen Preis gewonnen, da Dutzende Demonstrant:innen getötet und Hunderte verletzt wurden. Die ukrainische Gesellschaft triumphierte gegen einen aufstrebenden Diktator, da Janukowytsch gerade dabei war, den Aufstieg von Putin und Lukaschenko zu autoritären Tyrannen zu wiederholen.

Die Weigerung der Ukraine, sich einem von Russland unterstützten Anführer zu beugen, löste eine Welle der Wut und Panik durch die Korridoren des Kreml aus. Wie bei den meisten Fällen russischer Aggression gab es zwei Gründe für die Eskalation: interne und externe. Erstens versuchte Putin, seine Popularität in Russland aufrechtzuerhalten. Der Einflussverlust auf die Ukraine könnte als Zeichen der Schwäche wahrgenommen werden, also war eine Demonstration arroganter „Stärke“ erforderlich. Zweitens waren Russlands Träume von der Wiederbelebung eines Imperiums buchstäblich unmöglich, ohne die Ukraine (mit ihrem großen Territorium, ihrer Bevölkerung, ihrem landwirtschaftlichen und industriellen Potenzial) zu einem weiteren seiner Marionettenstaaten zu machen.

Die Krim ist eine autonome Region in der Ukraine, die offensichtlich aus mehreren Gründen von Russland ausgewählt wurde. Militärisch ist es aufgrund ihrer Entfernung zum ukrainischen Festland schwer, gegen eine Invasion zu verteidigen; Russland hatte Zugang über das Schwarze Meer. Die Führung der Krim hatte zutiefst korrupte, halbkriminelle Verbindungen zu Moskau, beispielhaft dargestellt durch Sergej Aksjonow – im Wesentlichen ein korrupter Politiker und Mafioso, der vom Kreml als rechtswidriges Oberhaupt der annektierten Krim eingesetzt wurde. Ein Mann, der im Krim-Verbrechersyndikat Salem den Namen „Goblin“ trug.

Am 27. Februar beschlagnahmten russische Spezialeinheiten Regierungsgebäude in Simferopol, der Hauptstadt der Krim. Abgeordnete des lokalen Parlaments, die von Aksjonow um sich geschart und von russischen Soldaten unterstützt wurden, erklärten, dass sie die ukrainische Regierung nicht als legitim anerkennen würden. Am 1. März erteilte der Rat der Russischen Föderation Präsident Putin rückwirkend die Erlaubnis zum Einsatz der russischen Armee auf der ukrainischen Halbinsel. Ein Hohn auf Gesetze und demokratische Prozesse, da russische Truppen bereits dort waren und Putin keine „Erlaubnis“ seiner Marionetten-Politiker:innen brauchte.

Am 16. März wurde ein „Referendum mit vorgehaltener Waffe“ mit großen Verstößen gegen alle erdenklichen Gesetze abgehalten: Es folgte nicht der ukrainischen Verfassung; Nichtbürger:innen konnten wählen (tatsächlich konnte jeder mehrmals wählen); alte sowjetische Pässe wurden als Ausweise akzeptiert; die Ergebnisse wurden EINE STUNDE nach Schließung der Wahllokale bekannt gegeben, was es offensichtlich machte, dass keine wirkliche Zählung durchgeführt wurde. Es wurde erklärt, dass 96,57 % der Krimbewohner:innen für den Beitritt zu Russland gestimmt haben und dass die Wahlbeteiligung 85 % überstieg.

Während dieser besondere Akt russischer Aggression im Vergleich zu anderen relativ unblutig war, fand hinter seinem neuen Eisernen Vorhang bald unsichtbare Grausamkeit statt. Und diese Grausamkeit war die Fortsetzung einer anderen russischen imperialistischen Tradition: der brutalen Unterdrückung ethnischer Minderheiten. Die indigene Bevölkerung der Krim war bereits 1944 von Stalin deportiert worden: Fast 200.000 Menschen wurden in Viehzüge gesteckt und Tausende von Kilometern weggeschickt. 8.000 starben entlang der Route aufgrund unmenschlicher Bedingungen. 2014 wurden die Tatar:innen mit einem „neuen und demokratischen Russland“ mit einem ähnlichen Horror konfrontiert: Razzien in ihren Häusern, rechtswidrige Verhaftungen, Schläge, Folter und gewaltsames Verschwinden.

In Russland reichte die Reaktion auf die Annexion von gleichgültiger Akzeptanz bis zu patriotischer Ekstase. Die von Putin angewandte Taktik des „kleinen und siegreichen Krieges“ verschaffte den Menschen ideologische Befriedigung als Ersatz für realen Wohlstand (da die Billionen, die durch Ölexporte verdient wurden, ihr eigenes Leben kaum berührten). Auch Putins erbitterter Gegner, der vermeintlich liberale Anführer Alexej Nawalny, sagte: „Die Krim soll auf absehbare Zeit bei Russland bleiben. Es ist kein Sandwich, das wir einfach hin und her reichen können.“

Der Krieg im Osten der Ukraine (2014 – bis heute)

Nachdem Putin und seine Regierung von der internationalen Gemeinschaft keine nennenswerte Strafe für die Annexion der Krim erhalten hatten, wuchs der Appetit. Im April 2014 überquerte der FSB-Offizier Igor Girkin (alias Strelkow) mit einer Truppe russischer Spezialeinheiten die ukrainische Grenze und besetzte die Stadt Slowjansk. Kramatorsk und Druschkiwka wurden bald darauf erobert. Lokale Kriminelle und Separatisten wurden bewaffnet, wodurch eine Miliz entstand. Der russische Krieg im Osten der Ukraine begann.

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In den besetzten Bezirken der Gebiete Donezk und Luhansk fanden zwei weitere Referenden mit vorgehaltener Waffe statt, bei denen das ukrainische und das Völkerrecht gleichfalls verletzt wurden. Am 25. September 2014 erklärte das Außenministerium Russlands die besetzten Gebiete zu Noworossija (Neurussland).

Die Tatsache, dass die Besatzung von russischen Streitkräften vorangetrieben wurde, ist zu diesem Zeitpunkt kein Geheimnis. Open-Source-Forscher:innen haben herausgefunden, dass russische Berufssoldaten ab 2014 im Donbas aktiv waren: zumindest die 61. Marinebrigade und die 200. motorisierte Schützenbrigade der russischen Nordflotte. Es gibt starke Hinweise darauf, dass viele der sogenannten lokalen Rebellen tatsächlich russische Soldaten ohne ihre reguläre Uniform waren.

Was den Rest der Militanten betrifft, kann man die gleiche russische Taktik beobachten, die in allen anderen oben aufgeführten Kriegen angewandt wurde – die Bewaffnung lokaler Separatisten und Krimineller mit hochwertigen Militärwaffen. Dazu gehören sowohl die gepanzerten Fahrzeuge, mit denen die ukrainische Armee bekämpft wurde, als auch die Raketen, mit denen eine Boeing 777 der Malaysia Airlines (MH17) abgeschossen wurde.

Trotz der Bereitschaft der ukrainischen Regierung, friedliche Verhandlungen zu führen, hat kein Abkommen mit Russland jemals dauerhaften Frieden gebracht. Die russische Seite hat mehrere Waffenstillstände verletzt. Sowohl die mit russischen Waffen bewaffneten örtlichen Kriminellen als auch die hinter der Grenze stationierte russische Artillerie töteten weiterhin Ukrainer.

Girkin gab später zu, dass die russische Invasion die besetzten Teile von Donezk und Luhansk in ein kriminelles Ödland verwandelt hatte. Seit die Ukraine die Kontrolle über diese Gebiete verloren hat, berichtet die UN von zunehmender Gesetzlosigkeit, Fällen von gezielten Tötungen, Folter und Entführungen durch die Streitkräfte der sogenannten Volksrepublik Donezk. Internationale Journalist:innen, Beobachter:innen und Einheimische, die verdächtigt wurden, irgendwelche Verbindungen zur Ukraine zu haben, waren meistens einfach „verschwunden“.

Die Wahrheit ist, dass dieser Krieg nie aufgehört hat. Die von der Welt vergessene Ukraine kämpft seit 2014. Im Jahr 2022 verschlang der Krieg lediglich das ganze Land, als Russlands großangelegte Invasion begann.

Die russische Aggression im Osten der Ukraine in den Jahren 2014–2021 führte zu mehr als 13.000 getöteten Ukrainer:innen (3.375 Zivilist:innen), mehr als 1,8 Millionen Binnenflüchtlingen, 251 Geiseln in besetzten Gebieten und 410 Vermissten.

Die russische Militäroperation in Syrien (2015 – bis heute)

„Er (Putin – Üb.) wird jetzt die ganze Ukraine in Aleppo verwandeln, nicht wahr? Es ist verrückt, dass das, was wir vor ein paar Jahren erlebt haben, in der Ukraine fast Bild für Bild wiederholt wird.“ – l-Khatib, ein Syrer aus Aleppo, nachdem er sich Aufnahmen von der Bombardierung der Ukraine im Jahr 2022 angesehen hatte.

Der Krieg in Syrien ist einer der kompliziertesten und umstrittensten Konflikte der Neuzeit. Das Gewirr religiöser, politischer und gesellschaftlicher Kämpfe sowie die Einmischung ausländischer Mächte im Land löst heftige Debatten aus. Was nicht zu bezweifeln ist, ist die russische Militärbrutalität bei der Unterstützung des Assad-Regimes. Die Informationen über die Bombardierung ziviler Gebiete wurden so gut recherchiert, dass Aktivist:innen eine Datenbank russischer Luftangriffe gegen Zivilist:innen erstellt haben, die von Videos und anderen Beweisen nachgewiesen werden.

Um die imperialistischen Ambitionen Russlands im Ausland aufrechtzuerhalten, genehmigte der Rat der Russischen Föderation am 30. September 2015 den Einsatz des Militärs des Landes (insbesondere seiner Luftfahrt und Artillerie) in Syrien. Seitdem wurden 1418 Angriffe russischer Streitkräfte auf zivile Gebiete ohne militärischen Wert identifiziert. Und das sind nur diejenigen mit bestätigten Videobeweisen.

„Russische Luftangriffe scheinen Zivilisten oder zivile Objekte direkt angegriffen zu haben … und sogar medizinische Einrichtungen, was zu Toten und Verletzten führte.“ – Philip Luther, Direktor von Amnesty International im Nahen Osten und Nordafrika.

Wie es sich gehört, hat die russische Regierung ihre unmenschlichen Angriffe geleugnet und versucht, sie mit Fälschungen und Propaganda zu vertuschen. Eine der schockierendsten russischen Taktiken in Syrien war die gezielte Bombardierung ziviler Krankenhäuser in Rebellengebieten. Bis 2018 sollen russische Angriffe Berichten zufolge 18.000 Syrer:innen getötet haben, die Hälfte davon Zivilist:innen. Seitdem hat der Krieg nachgelassen, aber aufgrund der anhaltenden russischen Präsenz nicht aufgehört. Die Hälfte der Bevölkerung des Landes (~12 Millionen Menschen) sind zu Geflüchteten geworden.

„Es ist eine äußerst schlechte Idee, Gebäude mit Roten Kreuzen und Worten wie ‚Kinder‘ zu kennzeichnen, wenn man mit ihnen [Russen] einen Krieg führt. Im September 2015 haben die Aufständischen in Syrien – über die Weißhelme und die UNO – das russische Hauptquartier … über jedes einzelne Krankenhaus in den von ihnen besetzten Gebieten informiert. Sie lieferten genaue Koordinaten in der Erwartung, dass die VKS [Russische Luftfahrt] diese vermeiden würde. Die Russen bombardierten jedes einzelne fragliche Krankenhaus und starteten dann eine Schmutzkampagne gegen die Weißhelme, indem sie sie zu „Dschihadisten“ erklärten. Als die Aufständischen begannen, ihre Krankenhäuser zu verstecken, bekamen die Russen irgendwie Koordinaten für diese … und bombardierten sie auch. Ohne Ausnahme.“ – Tom Cooper, österreichischer Militärexperte, als Reaktion auf die Bombardierung des Dramatheaters Mariupol, wo etwa 1000 ukrainische Zivilist:innen bombardiert wurden, obwohl das Wort „Kinder“ in riesigen Buchstaben aufgeschrieben wurde und aus der Luft sichtbar war.

Für viele Syrer:innen, die in der vom russischen Militär geschaffenen Hölle gelebt haben, scheint die derzeitige globale Konfrontation mit Putin ihre letzte Hoffnung auf Gerechtigkeit zu sein. Der Kreml wurde für die Bombardierung von Zivilist:innen in den Jahren 2015–2021 nicht zur Rechenschaft gezogen, aber vielleicht könnte die Bestrafung des russischen Militärs für Kriegsverbrechen in der Ukraine zu einer Form der Rechenschaftspflicht führen.

„Sie haben in Aleppo alles eingesetzt, was sie konnten, und so sehr ich das nicht sehen möchte, wäre ich nicht überrascht, wenn sie anfangen würden, dieselben Flugzeuge, Bomben und Raketen einzusetzen, um Zivilisten in der Ukraine anzugreifen. Ich freue mich zu sehen, dass die Welt endlich beginnt, darauf zu achten, was Russland tut … wir hoffen, dass er [Putin] endlich zur Rechenschaft gezogen werden kann, damit uns Syrern zumindest eine andere Form der Gerechtigkeit zuteil wird“, sagt Mustafa al-Qaseem, der früher in Aleppo lebte und jetzt in Deutschland lebt.

Das „Warum“ der gesellschaftlichen Unterstützung: endlose Wirtschaftskrise und eine Geschichte imperialistischer Kultur

Auf die meisten der oben beschriebenen Kriege und Invasionen reichte die Reaktion der Mehrheit der russischen Bevölkerung von fröhlichem Feiern bis hin zu passiver Akzeptanz. Die zivilisierte Welt unterschätzt entweder diese gesellschaftliche Unterstützung oder kämpft darum, zu verstehen, warum sie existiert. Es ist verständlicherweise schwer, die Tatsache in Einklang zu bringen, dass beispielsweise Joseph Stalin, einer der berüchtigtsten Massenmörder der Geschichte, im Jahr 2019 von dem unabhängigen Meinungsforscher des Lewada-Zentrums unter den Russ:innen mit 70 % Popularität (mehr als Putin) befragt wurde.

Die Gründe für diesen Sachverhalt sind vielfältig und komplex. Die Kurzfassung lautet: Russland taumelt seit Jahrhunderten am Rande des gesellschaftlichen Zusammenbruchs hin und her. Es ist schwer, ein Reich dieser Größe (Russland ist flächenmäßig das größte Land der Welt) mit so unterschiedlichen Völkern (193 ethnische Gruppen) in einem so unwirtlichen Land zusammenzuhalten, ohne einen Mythos, der sie vereint, und ohne Appell an niedrige Instinkte der Menschheit. Dieser Mythos drehte sich immer um ein großes Imperium mit großen militärischen Eroberungen und einem „besonderen russischen Schicksal“.

„Was dieses Land braucht, ist ein kurzer, siegreicher Krieg, um die Flut der Revolution einzudämmen.“ – Wjatscheslaw von Plehwe, Direktor der kaiserlich-russischen Polizei, 1904, über den Russisch-Japanischen Krieg.

Es gibt einen seit langem etablierten Zyklus in der russischen Geschichte: Armut – Krieg – Unruhen – neue Diktatur. Und dann – endlos wiederholen. Er existierte im zaristischen Russland und sogar in der Sowjetunion. Das moderne Russland setzt diesen Zyklus fort. Während der Staatshaushalt Billionen an Energieexporten einbrachte, lebten die Russen immer noch am Rande des demografischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruchs. Armut, Verzweiflung und schlechte Bildung sind ein fruchtbarer Boden für die imperialistische Kultur … denn woran können die Menschen sonst nach Sinn suchen? Wie können sie sich erklären, warum das Land in dieser Größe und in diesem Zustand existiert? Der imperiale Mythos ist gefragt … weil er benötigt wird, um die Existenz eines De-facto-Imperiums zu rechtfertigen.

Es ist einfacher, weiterhin an das „besondere russische Schicksal“ zu glauben, als für ein wohlhabendes und freies Land zu kämpfen oder seinen Platz in der Welt in Frage zu stellen.

Aber glauben Sie nicht dem Autor dieses Artikels, sondern Boris Nemzow, einem russischen Oppositionsführer, den Putin für so gefährlich hielt, dass er ihn wahrscheinlich ermorden ließ. Sehen Sie, was Nemzow über die Unterstützung des russischen Volkes für den Krieg in Georgien im Jahr 2008 sagt:

Darüber hinaus scheint Russland dieses Gesellschaftsmodell der „durch Armut befruchtenden imperialistischen Ideologie“ überallhin zu tragen: Alles wird mit Gewalt erreicht und alles wird in Korruption und Gewalt investiert. Von der Verwandlung der besetzten Regionen der Ukraine in ein verarmtes und gesetzloses Land über das Einfrieren Transnistriens in der Wirtschaftskrise der Sowjetzeit bis hin zur Zerstörung der Zukunft Abchasiens und Südossetiens. Russlands kolonialistischer Einfluss lässt jeden Ort schlimmer zurück, als er ihn vorgefunden hat.

Der besondere Charakter des modernen russischen Imperiums besteht darin, Gebiete zu besetzen und sie vom Fortschritt wegzureißen. Vielleicht ist dies eine direkte Linie, wie Moskowiens (Russlands historischer Name vor dem 17. Jahrhundert) Staatlichkeitsmodell konzipiert wurde: als Vasall des mongolischen Reiches, der Ressourcen aus den benachbarten slawischen Königreichen sammelte, die die Goldene Horde erobert hatte.

Ein weiterer wichtiger Teil des Puzzles ist natürlich die berühmte Kreml-Propagandamaschine. Die internationale Gemeinschaft sieht jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Propaganda hat den russischen Alltag und die Kultur infiltriert. Es sind nicht die Schreie verrückter „Goebels-Imitatoren“, die die größte Wirkung erzielen. Es ist die sanfte Kraft, der stille alltägliche Einfluss, der den Verstand verzerrt. Die Kinder-Cartoons mit offensichtlichen Lügen und hinterhältigen politischen Botschaften. Die Familienpicknicks zu militärischen Themen. Die russischen Jugendorganisationen, die der Hitlerjugend beunruhigend ähnlich sind.

Wie bekämpft man Propaganda, wenn sie Teil der Routine und Identität der Menschen geworden ist? Einige Psycholog:innen vergleichen die Auswirkungen langandauernder Propaganda mit der Indoktrination in Kulte – eine der schrecklichsten Veränderungen des Geistes, selbst wenn es um gebildete und wohlhabende Menschen geht. Ist jeder Russe von so etwas betroffen? Natürlich nicht, Menschlichkeit und Empathie überleben selbst unter den dunkelsten Umständen. Aber es wird schwer zu leugnen, dass in Russland ein Problem der Gesellschaftspsychologie in erheblichem Umfang existiert.

Das obere Bild ist eine Gruppe von Moonies, die von ihrem Messias gesegnet wurden … Das untere Bild ist die Hitlerjugend … Was ich mir mit großem Widerwillen eingestehen musste, war, dass ich es verstehe. Ich verstehe, wie das passieren konnte. Ich verstehe, wie jemandes Gehirn, wie jemandes Verstand an den Punkt kommen kann, an dem es sinnvoll ist … zu versuchen, die Welt durch Völkermord zu retten.

Wenn Sie sich mein Gehirn ansehen würden, oder irgendein Gehirn, das mit einer viralen memetischen Infektion wie diesem infiziert ist, und es mit jemandem in diesem Raum oder jemandem vergleichen, der regelmäßig kritisches Denken anwendet, bin ich überzeugt, dass es sehr, sehr anders aussehen würde.

Diane Benscoter, erklärt in ihrem TED-Vortrag ihre Jugend als Sektenmitglied

Die Auswirkungen dieser 30 Jahre auf die russischen Bürger:innen waren tiefgreifend. Wichtig ist, dass es kein neues Phänomen war: Es landete auf dem fruchtbaren Boden der früheren zaristischen und sowjetischen Ideologie, die von den Eltern an die Kinder weitergegeben wurde. Das führte direkt dazu, dass 200.000 russische junge Männer bereit waren, in der Ukraine zu vergewaltigen und zu morden. Beispielsweise war die möglichst frühe Indoktrinierung von Kindern in militaristische Ideologie immer ein wichtiger Bestandteil der modernen russischen Politik und Institutionen. In 30 Jahren hat sich wenig geändert, wie Sie auf den Fotos unten sehen können.

Als die Technologie im 21. Jahrhundert voranschritt, dachten viele von uns, die Gefahren der Zukunft ähnelten der Schönen neuen Welt von Huxley … einer Welt der Dekadenz, Unterhaltung und Oberflächlichkeit. Aber es scheint, Russland bevorzugt die bekannteren Klassiker.

Krieg ist Frieden. Freiheit ist Sklaverei. Ignoranz ist Stärke. Diese Sätze stammen aus Orwells fiktiver Welt von 1984, die in riesigen Buchstaben auf der weißen Pyramide des Wahrheitsministeriums prangt. Man muss sich fragen: Wenn wir die Kremlmauern abkratzen, könnten nicht dieselben Worte als politische und kulturelle Inspiration Russlands auftauchen?

Ein Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg musste einen langen und schmerzhaften Weg zurücklegen, um seine blutige Vergangenheit wegzuwaschen und Europas wohlhabendstes Land zu werden. Es verlor sein Militär, musste Reparationen zahlen und die Schrecken anerkennen, die es Europa zugefügt hatte.

Aber wenn die Anzeichen einer gesellschaftlichen Krankheit in Russland so schlimm sind, wie sie scheinen, steht die Welt möglicherweise vor einer noch schwierigeren Herausforderung als mit einem besiegten Deutschland im Jahr 1945.

Beitragende

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Autor des Textes:

Iwan Schowkopljass

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