„Helden ohne Waffen“. Der ukrainische Katastrophendienst in Kriegszeiten — Bericht eines Fotografen

Share this...
Facebook
Twitter

Die Arbeit von Profis des ukrainischen Katastrophenschutzes und Feuerwehr (ukrainisches Kürzel: DSNS) ist wahrhaftig beeindruckend. Sie kommen als Erste an den Ort eines Unglücks oder einer Katastrophe. Ohne Angst vor Risiko und harter Arbeit kämpfen sie um das höchste Gut — das Leben. Während des russischen Krieges in der Ukraine ist die Arbeit des ukrainischen Katastrophenschutzes besonders sichtbar: Sie müssen täglich die Folgen russischer Angriffe beseitigen. Völkerrechtswidrig beschießt Russland Wohnhäuser, Schulen, Krankenhäuser, Lager mit humanitären Hilfsgütern und zivile Infrastruktur. Neben den regulären Notrufen ist der ukrainische Katastrophenschutz, seit beginn des Krieges, nun auch für die Minenräumung in den stark verminten Gebieten des Landes zuständig. Deshalb erfordert dieser Dienst eine gute körperliche und emotionale Vorbereitung, um entsprechend auf die vielen Herausforderungen zu reagieren, welche das eigene Leben auf das Spiel setzten.

Die Arbeit der Einsatzkräfte verdient besondere Präsenz in den Medien. Dies formt nicht nur den Stellenwert der Menschen zu deren Tätigkeit, sondern macht auch wichtige Ereignisse sichtbar, die das Leben der Gesellschaft beeinflussen. In Zeiten des landesweiten Krieges ist die mediale Unterstützung des ukrainischen Katastrophenschutzes auch eine Möglichkeit, der Welt das wahre Gesicht Russlands zu zeigen.

Pawlo Petrow arbeitet als Fotograf beim Ukrainischen Katastrophenschutz. In den letzen drei Jahren hat er fast alle Brände in Kyjiw miterlebt. Er berichtet seit 2017 über die Einsätze der Feuerwehrkräfte und hilft mit seinen Bildern, der Welt die Folgen der russischen Kriegsverbrechen und den Heldenmut des ukrainischen Katastrophenschutzes zu zeigen. In diesem Interview erzählt Pawlo über seinen Werdegang und die Motivation bei der Arbeit.

— Ich komme aus der Stadt Starobilsk (Region Luhansk), die seit den ersten Tagen der landesweiten Invasion besetzt ist. Ich brachte meine Mutter von dort nach Kyjiw, aber meine Großmutter weigerte sich, ihr Zuhause zu verlassen, weil sie kranke Beine hat.

Als Jugendlicher war mein Hobby Boxen und Kickboxen. Damals arbeitete ein Freund von mir bei der Feuerwehr. Er war voll begeistert davon, es hatte so etwas romantisches in sich. Deshalb entschied ich mich nach der Schule auch für diesen Job. Ich ging nach Charkiw und studierte dort fünf Jahre lang an der Nationalen Universität für Zivilschutz. Als Student begeisterte ich mich für Fotografie. Nach dem Studienabschluss im Jahr 2017 kehrte ich nach Starobilsk zurück. In den ersten Monaten war ich für Zivilschutz, Überprüfungen und verschiedene Veranstaltungen zum Thema Katastrophen- und Zivilschutz verantwortlich und verfiel langsam in die Routine. Mir wurde klar, es sollte bei der Feuerwehr und Katastrophenschutz nicht so sein. Ich wollte den Job gerade hinschmeißen, als der damalige Leiter des Pressedienstes der Region Luhansk bei einer Veranstaltung zu mir sagte:

„Du machst einen echt guten Job, willst du nicht bei uns im Pressedienst arbeiten?“ Ich stimmte zu und meine Arbeit sah plötzlich ganz anders aus. Ich begleitete das Einsatzteam und nutzte dabei meine Erfahrungen im Fotografieren, was vorher lediglich mein Hobby war. Fotografische Berichterstattung ist typisch für Feuerwehr- und Katastrophenschutzeinsätze, aber ich versuchte, qualitativ bessere Bilder zu schiessen.

Sowohl die Minenräumung als auch der Krieg sind keine neue Themen für mich. Im Osten der Ukraine war das alles schon seit 2014 präsent – Kontrollpunkte, Verminung und so weiter. 2015 explodierte in der Stadt Swatowe (Region Luhansk) ein Artilleriedepot, das war richtig krass. Es gab ständig Beschüsse aus Mehrfachraketenwerfersystemen, wie „Uragan“ und „Smertsch“. All das waren unsere Einsätzte, denn wir waren damals für die Minenräumung dort zuständig.

Share this...
Facebook
Twitter
Minenräumer Ukraine
Share this...
Facebook
Twitter
Minenräumer Ukraine

So arbeitete ich drei Jahre lang im Osten und wechselte dann nach Kyjiw. Man sagte mir, dass die Arbeit in der Hauptstadt anders abliefe: alles läuft viel schneller und man muss zügig reagieren. Ich hab mich schnell dran gewöhnt.

Ich war gerade im Urlaub, als ich zufällig mit meiner Kamera unweit meines ersten Großbrandes war. Das Feuer brach in der Nähe einer Kirche aus, das Dach eines Restaurants stand in Flammen. Nach diesem Fall lernte ich ganz schnell die gesamte Einsatzabteilung kennen. Am Anfang hieß es, ich solle meine Nase nicht überall hineinschieben, aber die Kollegen merkten bald, dass ich gute Arbeit leistete, und nahmen mich zu immer größeren Einsätzen mit. Dort arbeitete ich drei Jahre lang. Ich erlebte verschiedene Situationen, verschiedene Brände. Manchmal beteiligte ich mich auch an den Einsätzen außerhalb meiner Schicht.

Wenn man dienstinterne Information bekommt, dann springt man mitten in der Nacht aus dem Bett und nimmt ein Taxi. In den letzen drei Jahren habe ich fast alle Brände in Kyjiw miterlebt.

Am 23. Februar 2022, als der Ausnahmezustand landesweit ausgerufen wurde, hatte ich gerade Nachtdienst. Normalerweise schliefen wir nicht bei der Arbeit, denn wir waren ständig unterwegs. Diesmal mussten wir aber an einem Ort bleiben, also übernachtete ich im Arbeitszimmer meines Kollegen. Ich kann mich so gut daran erinnern, als wäre es gestern gewesen, ich zog mir warme Wollsocken an und legte mich aufs Sofa. Es war unglaublich unbequem, meine Beine hingen herunter. Die halbe Nacht konnte ich nicht einschlafen, denn vor dem Hintergrund der besorgniserregenden Nachrichten lag eine große Spannung in der Luft. Jeder wusste, dass bald etwas passieren würde. Die wenigen Nachrichtenchats, denen ich damals folgte, berichteten um 4 Uhr morgens die ersten Nachrichten.
Der Morgen des 24. Februar 2022 war für mich innerlich nicht besonders anders, auf der Arbeit war zwar sehr viel los, aber ich war sehr ruhig. Als ob ich gewusst habe, dass etwas passieren wird. Ich war mir sicher, dass wenn etwas geschehen sollte, so wird es auch geschehen. Und so geschah es auch.

Der erste Tag der landesweiten Invasion war extrem lang. Es fühlte sich wie eine ganze Woche an.

Share this...
Facebook
Twitter
Mitarbeiter des Ukrainischen Katastrophendienstes
Share this...
Facebook
Twitter
Mitarbeiter des Ukrainischen Katastrophendienstes

Vor kurzem wurde unser Kollege, Ruslan Koschowyj, begraben. Er war Leiter der Feuerwache in der Ortschaft Hostomel, die in der Nähe vom Antonow-Flughafen liegt. Am ersten Tag der landesweiten Invasion landeten russische Fallschirmjäger auf dem Flugplatz, und die Einsatztruppen aus der Hostomel-Feuerwache waren unterwegs, um den Brand zu löschen. Es war bald klar, dass sie von Hubschraubern beschossen wurden. Was danach passierte, wussten wir nicht, denn wir hatten keinen Kontakt mehr. Später erfuhren wir, dass unsere Kollegen gefangen genommen wurden. Einen Teil ließen die Angreifer in der Feuerwache, die anderen wurden in einen Bunker gebracht.

Am 24. Februar bekamen wir unendlich viele Notrufe. Ich habe ein Video aus unserer Telefonzentrale – die Kolleginnen legten das Telefon nie auf. Sie wechselten einmal pro Stunde oder so.

Das typische Telefongespräch an diesem Tag klang ungefähr so:
— Saboteure haben das Dach unseres Hauses markiert, damit die Russen es dann von ihren Flugzeugen aus sehen und das Haus zerstören können.
— Alles klar, bitte rufen Sie die Polizei an.
— Die ist nicht erreichbar.
— Dann versuchen Sie es bitte nochmal.

Diese Sturzflut von Anrufen nahm kein Ende. Die Telefonistinnen waren echte Heldinnen: Sie hatten solch eine Informationsflut und auch die Panik der Bürger in den ersten Tagen durchzustehen.

Am Abend kamen unsere Kollegen vom Antonow-Flughafen zurück, deren Rückkehr mit den Besatzern vereinbart wurde. Ich erinnere mich an den Moment, als diese 20 Jungs schweigsam hereinkamen. Sie sagten kein Wort. Es war klar, dass sie etwas Schreckliches erlebt hatten.

Von diesem Tag an blieb ich am Arbeitsplatz und verbrachte drei Monate in der Kyjiwer Hauptwache. Nur so konnte ich nachts oder frühmorgens am Ort eines Raketeneinschlags oder eines anderen Notfalls schnell genug eintreffen. So kam es, dass ich bis Ende April 2022 überall in Kyjiw war, wo Raketen einschlugen.

Share this...
Facebook
Twitter
Mitarbeiter des Ukrainischen Katastrophendienstes
Share this...
Facebook
Twitter
Mitarbeiter des Ukrainischen Katastrophendienstes

Danach wurde ich in die Hauptzentrale eingeladen, die für die Einsätze in der ganzen Ukraine zuständig ist. Es war keine richtige Einladung, ich wurde nicht wirklich danach gefragt, es war einfach notwendig. So begann ich, fast im ganzen Land herumzureisen, wo immer ich konnte. Es wurde allmählich klar, dass es wichtig ist, die Einsatzkräfte des Katastrophenschutzes und der Feuerwehr auf diese Art zu unterstützen, die nicht nur mit dem Feuer kämpft, sondern auch mit Minen zu tun hat.

Ukrainischer Katastrophenschutz deckt viele Bereiche ab. Bei uns arbeiten auch Taucher, Höhenarbeiter, Kynologen – mehr als 70.000 Mitarbeiter insgesamt. Unser Dienst genießt ein sehr starkes öffentliches Vertrauen. Mir war es wichtig, zu zeigen, wie ich persönlich diese Menschen empfinde. Und ich sehe einen großen Heldenmut.

Share this...
Facebook
Twitter
Mitarbeiter des Ukrainischen Katastrophendienstes
Share this...
Facebook
Twitter
Mitarbeiter des Ukrainischen Katastrophendienstes

Nach dem Beginn der landesweiten Invasion wurde alles anders. Nun tragen wir kugelsichere Schutzwesten und Helme. Die Feuerwehrausrüstung ist an sich schon sehr schwer, aber jetzt kam noch das dazu.

Ich habe viele Interviews mit Jungs der Einsatzkräfte geführt, und sie sagen: „Ich habe nun eine andere EInstellung zu meinem Leben und zu meiner Familie“. Bei mir ist es auch so. Früher war ich ein ganz anderer Mensch, ich konnte plötzlich zu irgendeinem Einsatz fahren, ohne lange nachzudenken. Und jetzt wäge ich alles gut ab: Man weiß doch nie, was passieren kann…
Manchmal wird derselbe Ort in kurzer Zeit zweimal beschossen – das ist schrecklich. Anfang März 2023 starb unsere Kollegin Jewhenija Dudka, Leiterin des Pressedienstes des ukrainischen Katastrophenschutzes in Dnipro. Sie und ihr Team waren dabei, ein Feuer in einem Lagerhaus zu löschen, und sie alle gerieten unter einen erneuten Beschuss. Jewhenija wurde verletzt, und sie verbrachte 11 Monate in einem Krankenhaus in Deutschland. Ihr Zustand verschlimmerte sich, sie wurde zurück in die Ukraine gebracht. Hier kam sie leider ums Leben. Das zeigt, wie gefährlich die Arbeit des Pressedienstes im Krieg ist.

Soweit ich weiß, sind Stand Ende September 2023 fast 80 Mitarbeiter des ukrainischen Katastrophenschutzes ums Leben gekommen und etwa 300 wurden verletzt. Dabei müssten wir doch den Schutz der Genfer Konventionen genießen. Wir sind kein Militär, wir haben keine Waffen. Doch die Russen greifen auch uns an. Und das machen sie bewusst.

Das sieht man am Beispiel des Beschusses vom 10. Oktober 2022 in Kyjiw. Am Anfang der Angriffe auf die Energieinfrastruktur passierte viel Schreckliches. Eine Rakete traf ein Verwaltungsgebäude auf der Schyljanska-Straße. Unsere Einsatzkräfte waren vor Ort, als es eine Stunde später einen erneuten Angriff an derselben Stelle gab. Eine Shahed-Drohne traf ein Wohnhaus, das nur 15 Meter von mir entfernt war. Glücklicherweise wurde niemand verletzt, aber so etwas passiert sehr oft.

Die Mitarbeiter des Katastrophenschutzes sind so eine Arbeit gewohnt. Sie sind bereit, alles zu geben, um Menschen zu retten. Es gibt keinen anderen Weg für uns. Der Krieg hat sich tiefgreifend auf die Ukrainer generell ausgewirkt, und das kann man unter unseren Kollegen deutlich sehen.

Es gibt etwas, was ich am meißten bedauere. Im Winter 2022 waren wir in Bachmut und versuchten, Kinder aus einem brennenden Haus zu retten. Das Haus wurde in der Nacht beschossen, wir fuhren dorthin und löschten das Feuer. Am Anfang, als der Beschuss noch andauerte, löschten die Bewohner das Feuer auf eigene Faust, weshalb ihnen das Wasser ausging. Sie baten uns deshalb, mehr Wasser und Nahrung vorbei zu bringen. Als wir dann am folgenden Tag vorbei kamen, sah ich erst wie viele Kinder dort waren. Es war kurz vorm Silvester. Ich werde nie diese Augen vergessen: Sie starrten mich durch das Fenster an, und ich wusste nicht, wie ich ihnen helfen konnte. Ihre Eltern weigerten sich, die Kinder aus der Stadt wegzubringen – das war noch vor der Zwangsevakuierung. In diesem Moment zerbrach etwas Menschliches in mir. Man merkt einfach, dass die Menschen dort ganz anders leben.

Ein Pyrotechniker, der derzeit die Region Cherson entmint, sagte mir mal: man fängt einfach an, das Leben wirklich zu schätzen. Das bloße Leben. Ich fing an, das Leben zu schätzen und alles dafür zu machen, damit die Menschen sehen können, unter welchen Bedingungen und mit welchem Mut unsere Einsatzkräfte arbeiten.

So arbeiten wir auch jetzt: Ich habe immer einen großen Rucksack dabei, in dem ein Laptop, Kameras, drei Objektive, ein Tourniquet und Handschuhe zu finden sind. Auch nachts bin ich bereit, auf jeden Notruf zu reagieren — egal, ob in Kyjiw oder sonst wo. So wollte ich einmal nach Cherson fahren, als die Stadt sehr stark beschossen wurde, um ein paar Fotos zu machen. Als ich in der Nacht unterwegs war, erfuhr ich, dass die Besatzer die Stadt Uman mit Raketen angegriffen hatten. Dann stieg ich in Mykolajiw um und fuhr für zwei Tage nach Uman.

Ich glaube, dass sich jede Tätigkeit auf die Initiative von Menschen stützt, die sich für ihre Arbeit leidenschaftlich starkmachen und niemals nachlassen. Ich glaube, nur so können wir gewinnen.

Beitragende

Projektgründer:

Bogdan Logwynenko

Autorin des Textes:

Natalija Ponedilok

Redakteurin:

Anja Jablutschna

Fotograf:

Pawlo Petrow

Bildredakteur,

Koordinator der Fotografen:

Jurij Stefanjak

Übersetzerin:

Anastasiia Babak

Übersetzungsredakteur:

Oleksiy Obolenskyy

Korrekturlesen:

Sophia Pilipchuk

Koordinatorin der deutschen Redaktion:

Olena Shalena

Koordinatorin von Ukraїner International:

Julija Kosyrjazka

Chefredakteurin von Ukraїner International:

Anastasija Maruschewska

Content-Managerin:

Anastasija Schochowa

Grafiker:

Kateryna Ptaschka

Koordinator der Abteilung Partnerschaften:

Marjan Manko

Koordinatorin der Produktionsabteilung:

Maryna Myzjuk

Koordinatorin der Rechercheabteilung,

Koordinatorin der Abteilung Text:

Jana Masepa

Koordinatorin der Drehbuchautoren:

Karyna Piljugina

Koordinatorin der Kameraleute:

Olha Oborina

Koordinator der Filmeditoren:

Mykola Nossok

Koordinatorin der Transkriptionisten,

Koordinatorin der Untertitler der ukrainischsprachigen Version:

Sofija Basko

Cheftexterin:

Daryna Mudrak

Koordinatorin der Content-Manager:

Kateryna Jusefyk

Koordinatorin der Designabteilung:

Kateryna Ptaschka

Leiterin Marketing und Kommunikation:

Tetjana Frantschuk

SMM-Koordinatorin:

Anastasija Hnatjuk

Manager für Unternehmenspartnerschaften:

Oleksij Olijar

Operations-Managerin:

Ljudmyla Kutscher

Finanzfachfrau:

Kateryna Danyljuk

Jurist:

Oleksandr Ljutyj

Buchhalterin:

Natalija Tafratowa

Kateryna Smuk

Anna Kostjuk

Archivarin:

Wiktorija Budun

Folge der Expedition